Die Walddörferstraße befindet sich im bevölkerungsreichsten Hamburger Bezirk Wandsbek, dort im gleichnamigen Stadtteil Wandsbek.
Der Stadteil Wandsbek schließt die ehemals selbstständige Stadt Wandsbek sowie ihre Ortsteile Hinschenfelde und Wandsbek-Gartenstadt mit ein.
Die Walddörferstr. befindet sich im Sozialraum Wandsbek-Kern.
In der Sozialraumbeschreibung heißt es:
Der Sozialraum Wandsbek-Kern gewinnt seine Charakteristik vor allem auch durch lebhaften Straßenverkehr, eine sehr gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, öffentliche Einrichtungen und kommerzielle Aktivitäten, insbesondere in unmittelbarer Nähe des Wandsbeker Marktes.
Die Walddörferstr. ist, wie ganz Wandsbek-Kern, ziemlich hoch MIV-belastet, wie dieser Ausschnitt aus der Verkehrsbelastungskarte zeigt.
Das Planungsbüro ARGUS wurde vom Bezirk Wandsbek mit der Erstellung eines Radverkehrkonzepts für den Bezirk Wandsbek beauftragt.
Radverkehrsplanung wird in diesem Konzept analog zur Kfz-Verkehrsplanung angegangen. “Korridore”, “Routenplanung”, “Fahrradparken”, das sind die Stichworte des ARGUS-Konzepts. Der Mensch als möglicher Radfahrer taucht bestenfalls als “Siedlungsstrukturen” auf.
Zwischen Rad- und Kfz-Verkehrsplanung gibt es jedoch grundsätzliche Unterschiede. Im Radverkehr ist der Fahrer der Umwelt, d.h. der Verkehrsinfrastruktur direkt exponiert. Die Verkehrsplaner haben es beim Radverkehr nicht mehr mit einer vorwiegend technik-internen Schnittstelle wie Kfz-Fahrbahn zu tun. Die Schnittstelle Kfz-Fahrbahn verbindet ziemlich gleichförmig Produkte. Diese Schnittstelle ist geprägt, beherrschbar und damit planbar durch DIN-Normen, ABE, TÜV-Untersuchungen, Knautschzonen, Kurvenradien, etc.pp.
Radverkehr ist völlig anders. Die Schnittstelle ist in ungleich höherem Maße der Mensch selbst. Der (potentielle) Radfahrer ist zwar nicht durch DIN-Normen darstellbar. Aber er hat für den Planer andere Vorteile. Er kann seine Bedürfnisse dem Planer gegenüber äußern.
Ein Beispiel
Das schwedische Planungsbüro spacecape wurde mit der Entwicklung eines Radverkehrkonzepts für Oslo beauftragt.
…. development of a cycling strategy. Spacescape has been involved as a consultant in this work and began the process with a thorough examination of Oslo cyclists. We looked at such aspects as, what is the bike modeshare? Who are the cyclists? Are there differences between neighbourhoods? Between women and men? Between children and adults? To develop this knowledge we used questionnaires, cyclist observations, interviews with principals, and image surveys with different types of cyclists. This formed the foundation of the Bicycle Strategy that Spacescape has developed for the city.
All dies, die notwendige Evaluation der Schnittstelle dort lebender Mensch als Radfahrer, fehlt dem ARGUS-Konzept. Das macht es untauglich.
Wandsbek hat nach Angaben des Hamb. Abendblatt (Lesesperre, Überschrift: Neues Radwege-Meldesystem in Wandsbek eingeführt googeln) einen Radverkehr-Modal Split von 14,4 %. Die Quelle, aus der diese überraschend hohe und genaue Zahl stammt, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Bekannt ist, dass der Radverkehr der Hamburger Politik und Verwaltung keine Untersuchung wert ist. Vergleiche mit z.B. Kopenhagen, das einen Radanteil von je nach Quelle 26 % bis 50 % (commuting trips by Copenhagen residents only) aufweist, lassen arge Zweifel an diesen Werten aufkommen. Gut möglich, dass der Radverkehr eines schönen Sommertages mit vielen Radausflüglern im Duvenstedter Brook, im Rodenbeker Quellental, entlang der Wandse etc, aufs Jahr hochgerechnet wurde.
In der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung heißt es zur Fahrradstraße:
I. Fahrradstraßen kommen dann in Betracht, wenn der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist oder dies alsbald zu erwarten ist.
II. Anderer Fahrzeugverkehr als der Radverkehr darf nur ausnahmsweise durch die Anordnung entsprechender Zusatzzeichen zugelassen werden (z. B. Anliegerverkehr). Daher müssen vor der Anordnung die Bedürfnisse des Kraftfahrzeugverkehrs ausreichend berücksichtigt werden (alternative Verkehrsführung).
Diese Voraussetzungen sind für die Walddörferstr. schwerlich zu erwarten bzw. durchzusetzen. Auch angedachte Kfz-Verkehrsumleitungen werden daran wohl nichts ändern. Das um- und anliegende Wohngebiet mit relativ hohen Gewerbeanteilen ist in hohem Ausmaß selbst Quelle und Ziel für den Kfz-Verkehr.
Hinzu kommt: Die soziale Struktur des umliegenden Wohngebiets ist von einem relativ hohen Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund geprägt (2011: 27%). “Die dominierenden Herkunftsgebiete sind die Türkei, das östliche Mitteleuropa, Zentralasien und SO-Europa.” (Aus dem Link, PDF S. 22). Dieser Bevölkerungsteil ist gemeinhin besonders Kfz-affin, der Besitz eines Auto gilt vielen, in erster Linie den Männern, als Beweis, es “geschafft” zu haben und als Ausweis einer gelungenen Integration. Das allgemeine Verkehrsverhalten gegenüber Radfahrern und Fußgängern ist, wie es nicht anders sein kann, nicht selten von der Heimatkultur beeinflusst, die Alltagsradverkehr und damit besondere Rücksicht auf Radfahrer kaum kennt. Dies hat eine Radverkehrsplanung in der Führung des Radverkehrs zu berücksichtigen. Ganz besonders diese neighbourhoods verlangen schon in der Planung, das Augenmerk darauf zu richten, Konflikte zwischen Rad- und Autofahrern möglichst auszuschließen.
Zur Besonderheit der sozialen Struktur trägt weiterhin bei (siehe vorhergehenden Link PDF Seite 18):
Die Zahl der Haushalte mit Kindern nimmt in Wandsbek-Gartenstadt analog der Gesamtstadt und dem Bezirk Wandsbek kontinuierlich ab [Wandsbek-Gartenstadt: um 15%, Wandsbek-Kern: um 11%].
In fast allen Gebieten bewegt sich der Anteil der Alleinerziehenden an den Haushalten mit Kindern um die 30%-Marke.
Spätestens seit dem Buch des dänischen Stadtplaners Jan Gehl, Städte für Menschen, sollte auch Stadt- und Verkehrsplanern bekannt sein, dass Verkehrsplanung direkten Einfluss auf die Menschen und ihre Lebensfunktionen nimmt.
brand eins: Herr Gehl, woran erkennt man die Lebensqualität einer Stadt?
Jan Gehl: Es gibt einen sehr simplen Anhaltspunkt. Schauen Sie, wie viele Kinder und alte Menschen auf Straßen und Plätzen unterwegs sind. Das ist ein ziemlich zuverlässiger Indikator. Eine Stadt ist nach meiner Definition dann lebenswert, wenn sie das menschliche Maß respektiert.
Eine grundlegende Lebensfunktion ist die Reproduktion. Die Zurichtung der öffentlichen Räume auf Kfz- statt auf menschliche Nutzung findet naturgemäß am extremsten in den hoch Kfz-Industrie-abhängigen Gesellschaften statt. Es ist so gesehen kein Zufall, dass Deutschland und Japan von allen Staaten die am meisten überalterten Bevölkerungen haben. Verkehrsplanung und Verkehrspolitik ist Familienpolitik. Das haben weder Rot-Grün in Wandsbek noch die Verkehrsplaner von ARGUS begriffen.
Die Einrichtung einer “Fahrradstraße” auf der Walddörferst. erscheint damit eher als professionelle Selbstmediatisierung der rot-grünen Bezirkspolitiker. Große Bühne. In der Realität ist ein Verdrängungseffekt auf den Alltagsradverkehr des Wohnviertels, besonders auf die Schüler und die übrigen “schwächeren” Radler zu erwarten.
Die Führung auf Seitenräumen wird in Hamburg und insbesondere in der Walddörfer Straße weder von Fußgängern noch von KFZ-Führeren respektiert.
Wenn man KFZ-Durchgangsverkehr baulich verhindert und Anliegerverkehr durch Umwege und Schikanen auf ein Minimum reduziert, ist die Fahrbahnführung mit einer Fahrradstraße doch gar nicht so schlecht.
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