Beispiel Osterstrasse. Radverkehrsförderung in Hamburg.

Die Osterstrasse wird zwischen Methfesselstr. und Schulweg umgebaut. Mit dem ersten Bauabschnitt soll im September begonnen werden.

Die Osterstr., dicht am historischen Eimsbüttler Marktplatz (seit langem eine gewaltige, teils 9-spurige MIV-Schneise) gelegen, ist eine sehr in die Jahre gekommene 2-spurige, rechts und links parkplatzgesäumte Geschäftsstrasse. Gleichzeitig dient sie als MIV-Durchgangsstrasse und MIV-Zubringer für die Hamburger Innenstadt. Als Vorbehaltsstrasse gilt auf der Osterstr. Tempo 50.

Die Osterstr. ist aufgrund ihrer Funktion als bezirkliches Zentrum (viele Geschäfte, Kleingewerbe, Arztpraxen etc.) hoch fußgängerfrequentiert. Auch der Radverkehr spielt eine relativ große Rolle. Einerseits wegen des urban-modernen Lebenstils (Bezirkswahlen Eimsbüttel 2014: SPD: 33,3%; Grüne: 23,1%; CDU: 22,7%, Linke: 9,8%), andererseits wegen des starken Kinder- und Jugendlichenverkehrs zu den weiterführenden Schulen des Schuldreiecks Eimsbüttel, zum ETSV (Sportverein) und zum Kaifubad (allesamt nahe am Übergang Richtung City Osterstr. -> Bundesstr gelegen).

Die Radverkehrssituation in der Osterstr. ist katastrophal. Die uralten, verrotteten Handtuchradwege sind nicht benutzungspflichtig. Fahrbahnradler sind äußerst selten. Geschwindigkeit, Frequenz und Zusammensetzung (LKW, Busse) des motorisierten Verkehrs lassen für die meisten Radfahrer eine Fahrbahnnutzung nicht zu.

Es gibt seit Jahrzehnten verschiedenste Umbaukonzepte, die auf eine Verkehrsberuhigung hinauslaufen, z.B. Shared Space von den Grünen und Konzepte von Anwohnerinitiativen wie Osterstrasse Autofrei. 

Ab 2007 und verstärkt ab 2013 gab es Bemühungen für einen BID (Business Improvement District) Osterstrasse.

Ein BID wird von den Grundstückseigentümern getragen, dass Ziel ist die Wertsteigerung der Grundstücke durch selbstfinanzierte städtebauliche Massnahmen (“Aufenthaltsqualität verbessern”) in einem festgelegten Umfeld dieser Grundstücke. Das BID Osterstrasse funktionierte vor allem aufgrund der kleinteiligen und dementsprechend kapitalschwachen Gewerbestruktur der Osterstrasse nicht.

Die städtebauliche Neugestaltung der Osterstr. rückte abermals in weite Ferne.

In dieser Notsituation des hektischen Grabens nach Geld entsann man sich, dass die Osterstrasse Teil der bezirklichen Radroute B ist. Im Hamburger Haushalt schlummerten noch Millionen für Radverkehrsförderung selig vor sich hin. Aus dem Umbau der Osterstrasse wurde kurzerhand eine Förderung des Radverkehrs. Die nicht einmal 1,1 km Angebotsstreifen, denn teils gibt es nur Radpiktogramme, werden 7 Mill. € aus dem Radverkehrsetat verschlingen. (Zum Vergleich die Kosten für Radschnellwege mit eigener Trasse in den Niederlanden. Je nach nachdem, ob z.B. Brücken oder Tunnel  notwendig sind: 0,5 bis 2Mill €/km.) Gut möglich, dass die anfangs avisierten Radstreifen aus Kostengründen gecancelt wurden. Für die Angebotsstreifen ist nämlich keine durchgehende, sondern nur eine durchbrochene Markierung notwendig, deshalb kosten Schutzstreifen nur 10 €/lfd. m und Radstreifen immerhin 15 € /lfd m (beidseitige Streifen für die 1,1 km entsprechen  22 000 € bzw 33 000 €).

Die für Radinfrastruktur eingesetzten 22 000 € entsprechen ca 0,3% der eingesetzten Summe aus dem Radetat. Die geplanten Radabstellplätze allerdings noch nicht gerechnet.

Für Stadt, Bezirk und Grünstückseigentümer ist dieser Dreh eine Win-Win Situation. Die Stadt, beim Thema Radverkehr ohnehin höchst unwillig dem öffentlichen Druck folgend (Der Wirtschaftssenator: “Radfahren kann man politisch nicht verordnen.”), ist die 7 Mill endlich los, wer weiß, was man damit hätte anstellen müssen – und wie peinlich wäre es gewesen, die Summe nicht auszugeben. Der Bezirk kriegt das langersehnte neue Geschäftszentrum. Die Grundstückseigentümer bekommen die Aufwertung ihrer Grundstücke und große Teile der BID-Planung  – für lau.

Protest gegen diese haushaltsrechtlich äußerst fragwürdige faktische Umwidmung der Radverkehrsmittel wurde nicht laut, weder von den damaligen Oppositionsparteien Die Grünen und Die Linke, noch außerparlamentarisch etwa von Fahrradverbandsseite. Wenn der Radverkehr nur irgendwie auf die Fahrbahn gezwungen wird, ganz egal zu welchem Preis, dann sind sie’s zufrieden. Im Übrigen, vielleicht muss der Radverkehr beim gegenwärtigen Stand der “Radverkehrsförderung” sogar froh sein, wenn die Mittel sachfremd ausgegeben werden und nicht dazu verwendet werden, noch anderenorts die übergroße Mehrheit Radfahrer gegen ihren Willen auf die Fahrbahn zu zwingen.

Zum guten bösen Schluss: Eine Evaluierung des Einsatzes dieser ja nicht gerade unbeträchtlichen “Radverkehrs”mittel, etwa die jetzige und künftige Stärke, Zusammensetzung, Konflikthaftigkeit etc des Radverkehrs, wurde nicht gefordert und ist, man muss bei Radverkehrförderung leider sagen: selbstredend auch nicht geplant.

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4 Responses to Beispiel Osterstrasse. Radverkehrsförderung in Hamburg.

  1. Kai says:

    Die 7 Millionen sind wirklich aus dem Radfördertopf? Ist das gesichert? Wenn ja, wo? Ich habe, wenn ich mich richtig erinner, bisher da noch nichts gefunden. Nur z.B. das hier: http://www.linksfraktion-eimsbuettel.de/in_der_bezirksversammlung/pool/details/kategorie/antraege-hartmut-obens/zurueck/zaklin-nastic/artikel/osterstrasse-gestalten-nicht-gentrifizieren/
    Punkt 1: “Über den Hintergrund und den Finanzierungsprozess der 7 Millionen Euro fehlt die notwendige Transparenz. Die Bezirkspolitik hatte und hat keine Kenntnisse über das Zustandekommen dieses Betrages”.
    Klasse, was du machst! Nehme dich einfach mal in meine Blogroll mit auf 🙂

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  2. Hallo Kai,
    unter der Überschrift: “Die Osterstraße wird zur Flaniermeile” schrieb Ulrich Gaßdorf im HA am 03.06.13:

    “Für den Grünen-Bezirksabgeordneten Roland Seidlitz steht fest: “Seit Jahren haben sich die Grünen für eine Neugestaltung dieser Straße eingesetzt. Mit der Umgestaltung wird die Osterstraße als Einkaufszentrum gestärkt.”

    Die rund sieben Millionen Euro von der Stadt kommen aus dem Haushaltstitel “Förderung des Radverkehrs”. Die Bezirksversammlung hatte im Dezember vergangenen Jahres beantragt, dass der Radverkehr auf der Osterstraße neu geordnet werden soll.”

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  3. Kai says:

    Hallo,
    danke nochmal für den Hinweis! Ich meinte auch, das es mir schon mal irgendwo über den Weg gelaufen war, war mir aber nicht mehr sicher. Hast du das eigentlich mal an die große Glocke gehangen, z.B. “Grüne haben kein Problem für Neubau von Autostraßen mit Kohle aus der Fahrradförderung”? Genau das muss man immer wieder machen, auch jetzt noch! Raus damit! Es gibt wahrscheinlich auch und gerade unter Radlern nur deshalb so wenig Widerstand, weil sie um diesen Fakt gar nicht richtig wissen – genau wie ich leider auch….

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  4. Christine Stecker says:

    Ich durfte jetzt lernen, dass der Radfördertopf um genau diese 7 Mio Euro zusätzlich aufgestockt worden ist, die sonst so nicht zur Verfügung gestanden hätten. Das unter positivem Vorzeichen, also wir packen das drauf, ist doch toll, oder (egal wie sehr man den Nutzen für Radler in Zweifel stellen kann). Vor allem, wenn man sich die ersten aufgemalten handtuchschmalen Radfahrstreifen anschaut…

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