Double Use of Evaluation oder “In God we trust. Everything else, bring data.”

Das obige Zitat stammt aus dem Buch von Jeanette Sadik-Khan, Commissioner of New York City Department of Transportation unter Bürgermeister Bloomberg: ‘Streetfight, Handbook for an Urban Revolution‘.

Eine zentrale Forderung des Radentscheid Hamburg ist die Evaluation des Hamburger Radverkehrs.

11. Evaluation und wissenschaftliche Begleitung des Radverkehrsgesetzes

a) Evaluation des Radverkehrs

Der Radverkehr in Hamburg wird im Zweijahresabstand evaluiert. Der Schwerpunkt liegt in der Erfassung des Radverkehrsanteils, des Quell- und Zielverkehrs, der Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmern sowie der Zusammensetzung des Radverkehrs nach Alter, Geschlecht und sozialem Status. Innerhalb der zweijährigen Erhebung bildet im Turnus die Feinanalyse je eines Hamburger Bezirks einen gesonderten Schwerpunkt. Die Daten fließen mit dem Ziel der Erhöhung des Radverkehrsanteils in die Anpassung der Maßnahmen ein. Auf spezielle Quartiersgegebenheiten wird dabei eingegangen.

b) Evaluation der Baumaßnahmen

Mit 5%-10% der Investitionssumme werden Vorher-Nachher (Nachher: 1 Jahr, 3 Jahre, 5 Jahre) Evaluationen finanziert.

Wichtige Kennzahlen sind:

  • Änderung der Radverkehrsstärke im Bereich der Maßnahme
  • Änderungen in der Zusammensetzung des Radverkehrs nach Alter, Geschlecht, Anteil von Transporträdern für Kinder oder Lasten
  • Länge der Wegstrecke und Wegezweck
  • Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmern
  • Entwicklung der Wohn- und Aufenthaltsqualität der Anlieger und des Umsatzes des anliegenden Einzelhandels
  1. Evaluation als Tool in der Radverkehrsstrategie

    Die Evaluation ist demnach in zwei Bereiche gegliedert:
    1. Das Erreichen der Ziele der Radverkehrsstrategie wird überprüft:
    Geprüft wird unter a) die Erhöhung des Radanteils von Kindern und Berufspendlern als explizite Zielgruppen der Radverkehrsförderung sowie die Anteile von Frauen und unterschiedlicher sozialer Gruppen am Radverkehr in den unterschiedlichen Quartieren, um breite Teilhabe zu gewährleisten.
    2. Unter b) werden die Maßnahmen auf ihre Zielorientierung hin evaluiert.

Gründliche  und begleitende Evaluation  ist das unverzichtbare Navigationsinstrument jeder Radverkehrsförderung. Ohne Evaluation gleicht Radverkehrsförderung dem Segeln im Nebel ohne Navigationshilfen.
Ohne das vermittelnde Medium Evaluation gibt es zwischen 1. dem Stand des Radverkehrs (bicycle account, z.B. 20% der Schüler*innen einer Schule fahren mit Rad zur Schule), 2. den Zielen der Radverkehrsstrategie (cycling strategy, z.B. Schulradverkehr soll innert einer Legislatur auf 40% angehoben werden) und 3. den implementierten Radverkehrsmaßnahmen (cycling action plan, z.B. für eine Schule werden 5 km Schulradwege gebaut)  keine Kommunikation und somit keinen Zusammenhang.
Mehr noch: Fehlen die Daten, so gibt es keinen belastbaren Ausgangspunkt oder Zwischenstand, also keinen bicycle account, Ziele können nicht formuliert werden, Fortschritte/Rückschritte sind nicht messbar. Radverkehrspolitik ist dann bloße Spekulation, eine Irrfahrt ohne Anfang und ohne Ziel, bei der niemand (außer Ideologen natürlich) wissen kann, ob es grade vor oder zurück geht.

Implementation + Evaluation = evidenzbasierte Radverkehrspolitik

Implementation (der Radverkehrsstrategie, der Ziele zur Umsetzung dieser Radverkehrstrategie, der baulichen Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele) plus Evaluation (aller drei Ebenen) ergibt evidenzbasierte Radverkehrspolitik.

2. Evaluation als Tool in der Vision Zero Strategie

Evaluation hat im Radverkehr noch eine zweite Aufgabe: Sie ist unverzichtbares Werkzeug zur Beurteilung der objektiven Radverkehrssicherheit.

Vision Zero II

Präsentations-Folie aus der Anhörung des Radentscheid Hamburg vor dem Verkehrsausschuss der Hamburger Bürgerschaft

Beispiel RIM

RIM sind Radverkehrsführungen in Mittellage, einem breiteren Publikum auch als Angstweichen bekannt.

 

Fahrradweichen (2)

Angstweiche in Berlin bei zum Glück stehendem Verkehr

 

Laut der Studie der TU Berlin vom Januar 2019 führt die Implementation dieser RIM nicht zu einer verbesserten Sicherheit des Radverkehrs.
Zitat ebda.

Die Ermittlung der Unfallkenngrößen zeigt deutlich, dass Radfahrstreifen in Mittellage nicht generell mit einer positiven Sicherheitsbilanz verbunden sind. Während die Zahl der Unfälle mit leichtem Personenschaden (Kategorie 3) im auswertbaren Teilkollektiv von 42 Knotenpunktzufahrten quasi unverändert bleibt (74 U(LV) innerhalb von 3 Jahren vor der RiM-Markierung sowie 76 U(LV) innerhalb von 3 Jahren nach der RiM-Markierung), steigt die Zahl der Unfälle mit schwerem Personenschaden um 50 %* von 8 U(SV) auf 12 U(SV). Viele Unfallkenngrößen entwickeln sich folglich negativ, da sowohl die Zahl der Unfälle generell als auch der Anteil schwerer Unfälle steigt oder der geringe Rückgang von Unfallzahlen durch einen höheren Anteil schwerer Unfälle aufgewogen wird. Geringe Verbesserungen bei einzelnen Merkmalsausprägungen, stehen mitunter deutlichen Verschlechterungen bei anderen Ausprägungen gegenüber. Ausnahmslos positive Entwicklungen (sowohl bei der Zahl als auch bei der Schwere) sind selten zu beobachten und gering ausgeprägt (vgl. Tabelle 2).
*farbliche Hervorhebung von mir

RIM

Pic: SHP-Ingenieure, Sicherheit von Radverkehrsanlagen an Knotenpunkten
– wie (un-)sicher sind regelkonforme Lösungen?
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Thomas Richter (aufgerufen 3/2019)

50% Anstieg der Schwerverletzten [U (SV)] nach Anlage der RIM. Das ist krass. Ein vergleichbares Ergebnis bei einer neu implementierten Kfz-Infrastruktur würde  zu einem Aufschrei in den Medien verbunden mit einem sofortigen Moratorium, eher sogar Rückbau führen. Der zuständige Bundesminister und auch verantwortliche Landesverkehrsminister wären nicht mehr zu halten.

Und doch geben selbst diese Zahlen  bestenfalls die halbe Wahrheit wieder. Liest man die Studie genau, so stößt man unter Kapitel 4.3 ‘Verkehrsverhaltens- und Konfliktanalyse‘ auf  4.3.2 ‘Alter und Geschlecht der betroffenen Radfahrenden‘.
Dort heißt es:

In Konflikte involvierte Radfahrende sind zu 99 % der Altersgruppe der Erwachsenen zuzuordnen. Rad fahrende Jugendliche waren mit deutlich unter einem Prozent ebenso selten in Konflikte involviert, wie Senioren auf dem Rad. Der geringe Anteil beider Altersgruppen im Rahmen der Konfliktanalyse kann dabei auch durch die geringe Zahl der RiM-nutzenden Radfahrenden in diesen Altersgruppen erklärt werden.

Wir haben es hier meines Wissens erstmals mit einer Radverkehrs-Studie zu tun, die das Unfallgeschehen über die Konfliktanalyse, die üblicherweise  sehr hoch mit dem Unfallgeschehen korreliert ist, mit Alter und Geschlecht der betroffenen Radfahrenden in Zusammenhang bringt. Dafür gebühren Richter et al. Dank.

Das Unterkapitel 4.3.2. zeigt zweierlei.

1. Die RIM genügen in keinster Weise dem Anspruch, Radverkehr für alle Radfahrenden zu organisieren. Jüngere,  als die strategische Zielgruppe jeder nachhaltigen Radverkehrsförderung, und ältere Radfahrende werden explizit ausgegrenzt.

2. Ein Gedankenexperiment: In einem Raum sitzt ein Personenkreis mit einer annähernd der Gesellschaft entsprechenden Altersverteilung. Die statistische Rest-Lebenserwartung der Anwesenden ist 30 Jahre.
Nun schicken wir alle über 65-jährigen aus dem Raum. Die statistische Lebenserwartung der Anwesenden ist 50 Jahre.
Beide Sätze  unseres Gedankenexperiments widersprechen einander zwar vordergründig, sind aber jeder für sich wahr. Es hat selbstredend kein medizinischer Fortschritt, keine Bekämpfung von Umweltgiften, keine bessere Ernährung verbunden mit mehr Bewegung diese stattliche Erhöhung der Lebenserwartung verursacht. Das Leben ist kein Jota sicherer geworden: Eine Erhöhung der Lebenserwartung hat in der Wirklichkeit nicht stattgefunden. Die  statistische Verlängerung um 20 Jahre zwischen dem ersten und dem zweiten Satz ist allein durch die Veränderung der Grundgesamtheit verursacht.

„Verbesserungen“ der Statistik durch Verdrängung von Hochrisikogruppen sind selbstverständlich  kein “objektiver” Sicherheitsfortschritt, sondern müssen bei der Risikoexposition berücksichtigt werden.

Ältere Radfahrende über 65 J und jüngere unter 15 J machen zusammen ca 50% der Schwerverletzten im Radverkehr aus. Steuere ich diese Altergruppen aus dem Verkehrsgeschehen aus, wie mithilfe der Anlage der RIM (“geringe Anteil beider Altersgruppen im Rahmen der Konfliktanalyse kann dabei auch durch die geringe Zahl der RiM-nutzenden Radfahrenden in diesen Altersgruppen erklärt werden” [jeweils unter 1%], siehe letztes Zitat), dann muss ich erwarten, dass die Unfälle mit Schwerverletzten [U (SV)] um ihren Anteil sinken. Der statistische Erwartungswert liegt also bei minus ca 50% im Vergleich zu vorher.
Anders ausgedrückt:  Bei minus 50% Unfällen mit Schwerverletzten haben wir bei RIM keinen Sicherheitsfortschritt zu verzeichnen, sondern das Sicherheitsniveau von vor Errichtung der RIM erreicht.
Der gemessene Anstieg von 50% Unfälle mit Schwerverletzten bedeutet demnach eine Verdreifachung des Schwerverletzungsrisikos. Wir haben es also mit einem Anstieg um gewaltige 300 % zu tun.

Disclaimer

Radfahrende Senioren haben ein, relativ gesehen, hohes Verletzungs- und Sterberisiko bei Radunfällen.
Das ist aber kein Problem des Radfahrens, sondern ein Problem des Alters. Wo ein Jüngerer sich vielleicht den Ellenbogen aufschrammt oder sich einen blauen Fleck auf dem  Knie holt, da erleiden Senioren infolge altersgemäß verlängerter Reaktionszeiten und zunehmender Sprödigkeit des Skeletts möglicherweise Oberarm – oder Oberschenkelhalsbrüche.
Dieses Risiko jedoch wird bei Weitem aufgewogen durch einerseits körperliche Fitness und andererseits durch die Möglichkeit zur eigenständigen sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe, welche die gelenkschonende Radmobilität Senioren geben. Beides zusammen wirkt nicht nur nachweislich lebensverlängernd, sondern erhöht die Lebensqualität im Alter ungemein.

Was hat das mit Vision Zero und Indikatoren zu tun?

Eine angemessene Evaluation des Radverkehrs hätte den beispiellosen Anstieg um ca 300% der Unfälle (“inflationsbereinigt”) in den normalerweise nicht unfallauffälligen Altersgruppen verhindern können. Der fast vollständige Rückzug der jungen und der älteren Radfahrer (beides ‘Indikatorenspezies’!) hätte auf das gravierende Sicherheitsproblem dieser Radverkehrsführungen hingewiesen.

Schwerverletzte sind zumeist hochgradig traumatisiert. Sie finden nur schwer und selten vollständig in ihr Leben zurück. Sie und meist auch ihre Familien tragen nicht selten ein Leben lang an den Folgen.

Die Evaluation des Radverkehrs ist also nicht nur Voraussetzung für die Förderung des Radverkehrs. Sie kann – als vielleicht sogar wichtigere Funktion – Risiken im Entstehen anzeigen (‘Indikatoren’) und so Unfällen vorbeugen und viel menschliches Leid verhindern.
Die Evaluation des Radverkehrs nach risikointoleranten Radfahrer*innen ist für das Prinzip Vision Zero unverzichtbar.

 

 

Posted in Uncategorized | 1 Comment

Der Radentscheid Hamburg beginnt mit Schulradweg-Kampagne

Zur geplanten Pop-Up PBL in Hamburg-Eimsbüttel am 21.02.18 um 7.30 Uhr an der Bogenstraße zwischen Ida-Ehre-Schule und Helene-Lange-Schule.
Diese Aktion ist eine von mehreren in verschiedenen Hamburger Bezirken vor Schulen geplanten Pop Up PBLs.
Münden sollen diese Aktionen in eine gemeinsame Kidical Mass am 3.Juni zum Stadtpark.

bogenstrasse_final 1

Inklusive Mobilität ist eine Grundvoraussetzung für soziale, kulturelle und wirtschaftliche Teilhabe an Stadt. Das von der derzeitigen Hamburger Regierungskoalition verfolgte Konzept der  Zwei-Klassen Individualmobilität, die Sicherheit an den Besitz eines Kfz bzw an die Größe des eigenen Kfz koppelt und insb die Radfahrenden hohen Risiken aussetzt, kann nicht Grundlage einer nachhaltigen Verkehrspolitik sein.

Radentscheid Hamburg
Das Ziel ist es, eine nachhaltige Verkehrswende in Hamburg zu organisieren und als Landesgesetz festzuschreiben.

Inklusive Mobilität ist ein zentraler Punkt im Programm des Radentscheids. Radverkehr soll in Hamburg für alle von 8-80 Jahren möglich sein.

Als Vater von zweien und, nach Kräften eingebundener, Großvater von im Frühjahr fünfen (0-12J)  habe ich mich beim Radentscheid Hamburg sehr für die Aufnahme des Punktes ‘Sichere Schulradwege für Hamburgs Kinder” eingesetzt, nicht nur aus persönlichen, sondern auch auch politisch-strategischen Gründen.

Es ist allerhöchste Zeit, die fruchtlosen und  spalterischen “Infrastruktur”-Debatten hinter uns zu lassen – dieses Bist du für oder gegen “Radwege”, für oder gegen “die Fahrbahn”? Darauf kommt’s nicht an. Es kommt ganz an erster Stelle auf die Bedürfnisse der Menschen an, die dort radeln wollen (oder sollen). Die sind verschieden innerhalb der Rad-Community oder der Radnutzer.
Wer hier alle über einen Kamm scheren will, der hat Individualmobilität nicht verstanden.

bogenstrasse_final

Den Schulradwegen liegen folgende Überlegungen zugrunde:

Da

– das als Kind erlernte Mobilitätsverhalten oft auch im Erwachsenenalter beibehalten und wiederum an die eigenen Kinder weiter gegeben wird

– die Entwicklung der Motorik und motorisches Training, die einen fehlertoleranten Mobilitätsraum voraussetzen, für die Gesundheit und das Ausschöpfen des kognitiven Potentials der Schülerinnen und Schüler von entscheidender Bedeutung sind

– der Mobilitätsradius der Kinder jedoch leider auch in Hamburg schneller schmilzt als die Eisscholle im Klimawandel

– Schülerinnen und Schüler, die im aktiven Modus zur Schule kommen,nachweislich wacher, orientierter, aufmerksamer und (selbst-) verantwortlicher sind

– sichere Schulradwege die Eltern zeitlich, finanziell und, last not least, von Sorgen um die Sicherheit des Kindes entlasten und somit Elternschaft vereinfachen

– dort, wo Kinder und Jugendliche radeln, alle radeln können,

ist die die Errichtung von vor Kfz geschützten Schulradwegen einer der Schwerpunkte der Kampagne.

https://www.facebook.com/events/413894322372631/

So nahe es liegt, das Schulradwegenetz wegen und mitsamt seiner Inklusivität zur konzeptionellen Grundlage und damit zum Ausgangspunkt eines stadtweiten Radverkehrsnetzes zu machen, so deutlich muss sein, dass dieses Netz nicht allen Ansprüchen genügen kann.

Um die Vielfalt und die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten und Potentiale des Radverkehrs abzubilden, ich denke z.B. an Berufspendler, an das Zurücklegen längerer innerstädtischer Distanzen, auch daran, dass bei Einigen die sportliche Betätigung im Vordergrund steht,  für all diese Zwecke braucht es ein zweites, gleichwohl wesentlich grobmaschigeres Netz, das auch für höhere Geschwindigkeiten ausgelegt sein muss.

Posted in Uncategorized | Leave a comment

Verkehrswende jetzt Aufruf zur Bundestagswahl

Aus der Reihe: Wege zu Wissen und Wohlstand

Stand heute sieht es so aus, als sei die Bundestagswahl gelaufen. Die Chancen für ein emanzipativ-ökologisches Reformprojekt stehen, milde ausgedrückt, sehr schlecht.

Die Partei Die Linke hat auf ihrem Parteitag in Hannover gleich jede Chance auf Veränderung verneint und macht’s sich deshalb lieber, die Reihen fest geschlossen, in der verbalradikalen Wohlfühlblase gemütlich. Wozu innerparteilichen Streit riskieren, es gibt doch eh nichts zu gewinnen, das ist die Botschaft.

Die Grünen wiederum schleudern unentschieden zwischen SPD und CDU. In Folge ihrer abrupten, weil stets zu späten, Kurswechsel, fallen immer mehr von ihren Inhalten über Bord.  Ihr politischer Kern, die ökologische Erneuerung, ist deshalb stark ausgehöhlt. Besonders in der Verkehrspolitk kostete  die einseitige Ausrichtung auf  Kfz  ohnehin schon eine Menge Glaubwürdigkeit. Zwar wurde ihr Absturz in der Wählergunst auf nahe 5 %  auf einen Schulzeffekt geschoben. Doch diese Analyse (Ihr Vorteil: Wir können nichts dafür!) trägt nicht, denn auch Schulzens Entzauberung  macht die Umfragewerte der Grünen keinen Deut besser. Ihnen bleibt als letzter Strohhalm vor einem möglichen Abstieg ausgerechnet die  Hoffnung auf – Trump. Das ist zwar demütigend, aber: Ihm fällt nun die Aufgabe zu,  mit seinem Parisausstieg die Grünenwähler zu mobilisieren.

Kretschmann

Kind Asthma

Teil des Grünen Dilemmas: Nicht nur die beim Grünenklientel angesehene DUH hat auf das Thema Diesel und Kinder einen anderen Blick als führende Grünenvertreter

Soll man die Bundestagswahl also verloren geben? Und sich trösten: Merkel ist doch nicht soo schlecht, denkt mal an Kohl?
Das wäre Resignation.

Und ich bin weit entfernt davon zu resignieren. Ich bin, ganz im Gegenteil, der Meinung, dass die derzeitige Konstellation eine Riesenchance für die Verkehrswende von unten birgt. Die Verkehrswende kommt nicht aus dem Bundestag, sie kommt aus den Kommunen und Städten.

Ich finde sogar, wir stehen in Sachen Verkehrswende so gut da wie vielleicht noch nie. Der Radverkehr boomt allerorten. Der Radentscheid in Berlin hat die Verhältnisse zum Tanzen gebracht. In vielen Städten finden sich ähnliche Initiativen zusammen.

Was uns fehlt, das ist die Unterstützung in den städtischen und kommunalen Volksvertretungen sowie in den Landtagen und Bürgerschaften. Weshalb ist das so, wo doch die Grünen als klassische Verkehrswende-Partei in sehr vielen Kommunalparlamenten und Bürgerschaften  vertreten und oft sogar exekutiv beteiligt sind?



Einschub: Die Verkehrswende

Die Verkehrswende ist zwar Teil der Energiewende, doch findet die Energiewende als Verkehrswende bisher nicht statt. Der Verkehr ist mittels einer Allparteien-Koalition von der Energiewende ausgenommen.

UBA Energieverbrauch

Der Energieverbrauch im Verkehr (dunkelblau) ist zwischen 1990 und 2015 von 661 auf 728 TWh gestiegen. Der Verkehrssektor hat sich vom drittgrößten Verbraucher 1990 zum größten Verbrauchssektor 2015 aufgebläht. DerAnstieg beträgt ca 10%. Die Energie stammt zu über 90% aus fossilen Brennstoffen (Mineralöl).

Einsparungen in den übrigen Sektoren sind zunehmend schwieriger darzustellen, denn die tiefhängenden Früchte sind geerntet (steigende Grenzkosten).
Der sehr kundige Gastkommentar vom Mobilitätsforscher Weert Canzler im Tagesspiegel “Was Sektorkopplung für den Verkehr bedeutet” gibt das Stichwort.

Aus verkehrswissenschaftlicher Perspektive ist klar, dass es eine simple Substitution des heutigen Autoverkehrs vom Verbrennungsmotor auf einen elektrischen Antrieb nicht geben kann. Nicht nur deshalb, weil fraglich ist, wo der zusätzlich benötigte Strom herkommen soll und wie die Netze das schaffen. Auch deshalb nicht, weil neben den Schadstoff- und Lärmemissionen der immense Platzbedarf des motorisierten Individualverkehrs ein großes Problem ist. Gerade in wachsenden Städten.

Genau diese Substitutionsannahme, also ein stumpfes „weiter-so“ – eben nur elektrisch -, ist die Lebenslüge des E-Mobilitäts-Diskurses. Wir sind gefangen in einer schweren Pfadabhängigkeit, mehr als 100 Jahre Privatauto mit ständig steigender Reichweite und einer universellen Nutzungspraxis vom Bäcker um die Ecke bis zum Sommerurlaub an der Adria hält uns habituell und kognitiv in den Fängen.

Sektorkopplung (= gemeinsame Betrachtung und Vernetzung der drei Energiesektoren Elektrizität, Wärmeversorgung und Verkehr) und die Hebung daraus entstehender Synergieeffekte hat auch eine politisch-gesellschaftliche Seite.
Es fällt auf, dass die beiden Städte Europas, die auf dem Weg der Verkehrswende vielleicht am weitesten fortgeschritten sind, nämlich Amsterdam und Kopenhagen, auch genau die beiden sind, die sich einen  ‘Wettlauf unter Freunden’ um den Titel der ersten CO2 neutralen Hauptstadt der Welt liefern.

Es scheint ganz offensichtlich so zu sein, dass die ‘Nebenwirkungen’  der Verkehrswende, nämlich das Mehr an urbaner Lebensqualität und Lebensfreude, die robustere persönliche Gesundheit, die soziale, gender- und  altermässige Inklusivität des Verkehrs u.v.a.m. die Menschen überzeugt. Sie erfahren jeder für sich und am eigenen Leib, wie die Energiewende (als Verkehrswende) mobilisiert. Kein Verzicht. Keine zusätzlichen Kosten – im Gegenteil.
Das ist die Grundlage, auf der die Politik CO2-Neutralität ansteuern kann, wenn nicht sogar muss. Gezwungenermaßen. Weil die Menschen dafür mobilisiert sind. Sie tun ihren Teil und sie tun ihn gerne. Und: Sie verlangen bitteschön dasselbe von Politik und Wirtschaft.



Ich meine: Der Fisch stinkt vom Kopf der Energiewende. Die einseitige bundespolitische Sicht auf das Wohl der Kfz-Industrie blockiert bei den Grünen jedes Nachdenken und erst recht jede Aktivität zugunsten einer Mobilität außerhalb des Kfz-Paradigmas. Verkehrswende darf deshalb in der grünen Partei per Ordre de Mufti nur als E-Auto Wende gedacht werden und manch einem ist schon das zu viel.
Dies ist der Grund, weshalb der Radverkehr, der in vielen Städten Europas zeigt, dass er einen Großteil der bisher mit dem Kfz organisierten Individualmobilität substituieren kann, nach wie vor ein Schattendasein bei den Grünen führt.
Noch immer setzen die Grünen gegen alle Evidenz, wie sie in den niederländischen und dänischen Städten zu sehen ist, auf die alten wissmannschen Vergrämungs-Konzepte, wonach der Radverkehr möglichst im Mischverkehr, auf jeden Fall aber so dicht am Kfz-Verkehr wie nur möglich geführt werden soll.
Inklusivität, sonst ein großes Wort bei den Grünen, taucht in ihrem Radverkehrskonzept nicht auf, der Kfz-Absatz könnte wohlmöglich beschädigt werden. Doch ohne den zu beschädigen, wird es weder  die auch nur annähernde Erfüllung der Klimaziele noch eine Verkehrswende geben. (Klimaschutzplan der Bundesregierung, S.19: Bis 2020 soll der Endenergieverbrauch des Verkehrssektors – im Vergleich zu 2005 – um zehn Prozent abnehmen, bis 2050 um 40 Prozent.)

Es ist aber so: Wir brauchen die Grünen. Wir können auf sie, auf ihre kommunalpolitische Durchsetzungsfähigkeit, auf ihre politische Erfahrung, auf ihre organisatorische Kraft, auf ihre meinungsbildende Macht vor allem bei Umweltthemen, und vor allem auf ihre vielen aktiven Mitglieder nicht verzichten, wenn wir die Verkehrswende jetzt durchsetzen wollen. Es ist Zeit für die Verkehrswende auch in der grünen Programmatik, denn wir brauchen Die Grünen unbedingt. Die Partei Die Grünen gehört nicht nur den Kfz-Lobbyisten an ihrer Spitze, sie war und ist immer auch ein Umwelt- und ein Generationenprojekt gewesen.

Mein Vorschlag: Bei der Bundestagswahl diesmal nicht die Grünen wählen.

Zur Wahl gehen, klar, schon um per Wahlbeteiligung die AfD auszubremsen. Aber nicht die Grünen wählen. Wenn wir es mit explizitem Hinweis auf die Verkehrspolitk schaffen, den Grünen eine, bezogen auf den Bundestag, außerparlamentarische Zeit zum politischen Revirement zu ermöglichen, dann, und ich glaube nur dann, haben wir die Chance auf Veränderung bei den Grünen, auf die programmatische Entfesselung der kommunalen und städtischen Parteigliederungen und damit insgesamt auf den Gewinn eines nicht zu unterschätzenden Bündnispartners.

Wir sollten diese kommende Zeit der großen oder der schwarz-gelben Koalition unbedingt sinnvoll nutzen.

 

Posted in Uncategorized | 5 Comments

Hamburgs Schüler: Geringe Bildungschancen bei sehr hohem Adipositas- und bundesweit höchstem Ritalinrisiko.

Die in Vorbereitung auf das sogenannte Zentralabitur am 13.12.2016 geschriebenen Matheklausuren endeten in einem vorhersehbaren Desaster für Hamburgs Schüler und Schülerinnen. Sie wären durchgefallen. 4,1  ist die Durchschnittsnote der Hamburger Schüler. 42,6% der Schüler schrieben eine 5 oder eine 6. Noch einmal 10,6% eine 4 minus. Die Zensurendurchschnitte an den Schulen reichten von 3,2 bis hin zur glatten 6 (Spannweite der Durchschnitte aller teilnehmenden Schüler einer Schule).
Doch eigentlich durchgefallen sind nicht die Schülerinnen und Schüler (SuS). Sie sind die Opfer. Durchgefallen ist Hamburg – genauer: Hamburgs politische und wirtschaftliche Führung.

Denn das Problem ist nicht neu. Auch bei dem Grundschulvergleich TIMMS (Trends In International Mathematics and Science Study), dem innerdeutschen Vergleich IQB, bei der KERMIT -Längsstudie durch verschiedene Alterstufen schneidet Hamburg seit Jahren zuverlässig schlecht ab.

Dem neuerlichen Mathe-Schock soll nun (mal wieder) mit mehr Mathestunden, qualifizierterem Lehrpersonal und Lehrerausbildung, verbesserter Didaktik und Methodik im Unterricht usw begegnet werden. The same procedure as every year for decades. Bisher haben alle derartigen Anstrengungen und Versprechungen nichts, null, nada geändert.

Es gibt jedoch drei mit den Matheleistungen der Hamburger SuS umgekehrt proportional korrelierende, im Zusammenhang mit den Matheleistungen konsequent unter dem Wahrnehmungsradar gehaltene Erhebungen, die auf ein tiefer liegendes strukturelles Problem hindeuten. Auf ein Problem, das mit den Bordmitteln der Bildungspolitik nicht zu fassen ist.

1. Hamburg befindet  sich beim Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder in der Spitzengruppe der Bundesländer (Adipositas: 4,9%, bundesweit dritthöchster Wert, Übergewichtigkeit: 11,4%, vierthöchster Wert)

blau

Zuordnung von Matheleistungen zum Anteil adipöser Kinder nach Bundesländern

Übergewicht und Adipositas sind die Folgen von Fehlernährung und Bewegungsmangel. Bewegungsmangel in der Stadt hat viele Ursachen. An erster Stelle steht die Platzkonkurrenz mit der immer noch anhaltenden, von der Politik gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit geförderten Zunahme des innerstädtischen Kfz-Verkehrs. U.a. führt aber auch die Attraktivität der modernen Medien auf Kinder vermehrt zu sitzender Freizeitgestaltung. Relativ gesehen wird durch die neuen Medien die Unwirtlichkeit der äußerlichen Umgebung verstärkt. Sieht man Übergewicht und Adipositas als negative Entwicklung, dann müsste man die Attraktivität der ‘Draußen-Aktivität’ auf Kinder erhöhen bzw ‘Draußen-Aktivität’ ermöglichen.

2. Hamburg ist unter allen Bundesländern führend bei der Verschreibung der umstrittenen Droge Ritalin.

Die Welt am 21.07.2013:

Hamburgs Kinder schlucken die meisten ADHS-Pillen

Hamburg ist bundesweiter Spitzenreiter bei der Verschreibung des Präparats Ritalin. Die Verordnungsrate des Wirkstoffs liegt nach einer Studie rund 50 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.
Hamburgs Schulkinder nehmen im bundesweiten Vergleich die meisten Medikamente gegen die Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung ADHS. Die Hansestadt sei Spitzenreiter bei der Verschreibung des umstrittenen Präparats Ritalin, teilte der Verband der Ersatzkassen (vdek) am Mittwoch mit.

ADHS ist auch als ‘Zappelphilipp-Syndrom’ bekannt. Es handelt sich dabei um eine komplexe Entwicklungsstörung, die sich in motorischer Unruhe, geringer Frustrationstoleranz, mangelnder Selbstkontrolle und teils hoher Aggressivität äußert.

Es ist nicht geklärt, ob ADHS eine reine Reifungsstörung bzw. -verzögerung ist oder ob ein funktionelles Defizit im motorischen System zu Grunde liegt.
Therapiert wird oft mit dem Wirkstoff Methylphenidat (Ritalin). In der Wirkungsweise ähnelt es dem Kokain. Ritalin kann Kindern mit ADHS ein relativ normales Leben  inklusive sozialer Kontakte ermöglichen. Es gibt eine ganze Reihe von Nebenwirkungen. Für am schädlichsten halte ich die oft eintretenden Persönlichkeitsveränderungen (“Aber die Kinder sind natürlich nicht mehr so lebendig wie vorher.“) und die Erfahrung des Kindes, Lern- und Lebensprobleme durch die Anwendung von Drogen zu lösen.

Körperliche Mobilisierung ist immer Bestandteil von ADHS-Therapien. Unter den konservativen Therapien ohne Medikamenteneinsatz sind ganz besonders die Therapien erfolgreich, die auf umfangreiche und gezielte Bewegungsangebote setzen.

Die Sportwissenschaftlerin Dr. Sabine Kubesch in einem lesenswerten Referat:

“Dabei profitieren insbesondere die sogenannten exekutiven Funktionen [*] von akuter muskulärer Beanspruchung und insbesondere von einer gesteigerten körperlichen Leistungsfähigkeit. Die exekutiven Funktionen Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitive Flexibilität haben einen großen Einfluss auf die schulische Leistungsfähigkeit – unabhängig vom und stärker als der Intelligenzquotient der Schüler. Gleichzeitig stehen schlecht ausgebildete exekutive Funktionen der Heranwachsenden in Zusammenhang mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADS/ADHS), mit Schulabbruch, Drogenmissbrauch und Kriminalität….

Im deutschen Bildungssystem ist das Wissen um die Bedeutung exekutiver Funktionen für eine optimale Förderung der Kinder und Jugendlichen weitgehend unbekannt. Bislang wissen nur wenige Schulakteure von diesen zentralen Gehirnfunktionen und davon, wie man diese kognitiv aber auch körperlich trainieren und damit Einfluss auf die schulische Lernleistung sowie die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nehmen kann.”

[*] Zu den exekutiven Funktionen des Gehirns zählen unter anderem:

  • das Setzen von Zielen,
  • strategische Handlungsplanung zur Erreichung dieser Ziele,
  • Einkalkulieren von Hindernissen auf dem Weg dahin,
  • Entscheidung für Proritäten
  • Impulskontrolle und emotionale Selbstkontrolle,
  • das Arbeitsgedächtnis
  • bewusste Aufmerksamkeitssteuerung,
  • zielgerichtetes Initiieren, Koordinieren und Sequenzieren von Handlungen,
  • motorische Umsetzung, Beobachtung der Handlungsergebnisse und Selbstkorrektur. ——
    (Wikipedia) Das ist Vieles von dem, was  ADHS-Kindern nur eingeschränkt verfügbar ist.

3. und ursächlich:

Das überholte Verständnis der Hamburger Wirtschaft und Politik vom Stadtgebiet Hamburg als überregionalem (Kfz-) Verkehrsknoten führt zu einer extremen Marginalisierung aller anderen Verkehre. Darunter leidet allen voran der kindliche Mobilitäts- und damit der kognitive Entwicklungsraum von Kindern.

Siehe zum Beispiel die Fahrradklima-Tests, bei denen Hamburg regelmässig auf den hintersten Plätzen landet.

Wissenserwerb

Der Erwerb von Wissen, Kenntnissen und Fähigkeiten ist ein kumulativer Prozess. Er knüpft dabei immer an vorhandene Strukturen an, ergänzt und erweitert diese (Hüther 2001). Gleichzeitig sind Wissen, Kenntnisse und Fähigkeiten jedoch auch potentiell und intuitiv sehr umfangreich vorhanden, in Form von stammesgeschichtlichen und individuellen Entwicklungs- Erfahrungen. Diesem Grundmuster folgt auch das Erlernen der Mathematik.

Weshalb gerade Mathematik? Die Entwicklung des Gleichgewichts. Eine evolutionäre Erfolgsstrategie

Lange, bis etwa 1920, dachten die Anthropologen, dass das große Gehirn den Unterschied zwischen Menschenaffen und Menschen ausmache. Heute ist klar, es ist der aufrechte Gang. Der aufrechte Gang, die Entdeckung und Herstellung des Gleichgewichts auf der körperlichen Ebene, geht  der Gehirnentwicklung voraus und scheidet Mensch vom Affen.

Die Stabilisierung des Körpers in dieser äußerst labilen Position unter den verschiedensten Bedingungen verlangt eine hohe Einsicht (Internalisierung)  in die Mathematik des labilen Gleichgewichts durch das Systems Körper/Gehirn. Die Entdeckung und die Beherrschung des Gleichgewichts, diese erste, noch mehr körperliche als geistige,  mathematische Erfahrung ist eine  Voraussetzung für das nachfolgende Gehirnwachstum, denn so und nicht anders ist die Reihenfolge der Entwicklung. Je entwickelter der aufrechte Gang in der Geschichte der Menschheit ist, je höher die Ausrichtung von Fuß (-gewölbe) über Knie, Becken, Wirbelsäule und Verbindung Kopf/Wirbelsäule (Gehirn/Rückenmark) an die Erfordernisse des Gleichgewichts, desto größer wird das Gehirnvolumen. Die Entwicklung des Denkvermögens aus der Erfahrung des Gleichgewichts ist eine evolutionäre Erfolgsstrategie.

faustkeile

Aus: ‘The characteristics and chronology of the earliest Acheulean at Konso, Ethiopia,’ siehe Link im Text. Thanks to PNAS.

Die technologische und die kulturelle Evolution sind ohne die Grunderfahrung des Gleichgewichts, dieses Grundgesetzes der Mathematik, nicht vorstellbar, angefangen beim Faustkeil des Homo Erectus vor 1,75 Mill Jahren (Das Bild zeigt eindrucksvoll, wie frühe Steve Jobs über die Jahrhunderttausende der Acheuléen-Faustkeil-Kultur die Form der Faustkeile immer flacher werden lassen und sie funktional-geometrisch und damit auch ästhetisch entwickeln) und bei den ersten Religionen, die Einteilung der Welt in duale, sich im Gleichgewicht haltende Gegensätze. Noch heute wird eine der größten Errungenschaften der Menschheit, die Herrschaft des allgemeingültigen Rechts, diese Voraussetzung und Grundlage aller Zivilisation, als Justitia mit der Waage in der Hand dargestellt. Recht (und damit Zivilisation) ist nicht nur dem Wortstamm nach: rechnen, Gleichgewicht.

Das psychogenetische Grundgesetz

Dem 1866 von Ernst Haeckel beschriebenen biogenetischen Grundgesetz (‘Der Mensch wiederholt in der Embryonalentwicklung die Stammesgeschichte’) folgt das 1904 von Stanley Hall beschriebene psychogenetische Grundgesetz: Der Mensch wiederholt die Stammesgeschichte in seelisch-geistiger Hinsicht.
Phylogenetisch, das ist stammesgeschichtlich,  begann die Menschwerdung, die Ablösung der Gattung Homo vom Stamm der Menschenaffen, mit dem aufrechten Gang. Ontogenetisch, das ist auf der Ebene der Entwicklung des menschlichen Individuums, ist dies bis heute ein großer Tag.

Wer einmal ein kleines Kind erleben durfte, wie es, plump noch,  mit allem Willen und aller Anstrengung, wieder und wieder und durch keine Rückschläge zu entmutigen um seine Balance auf seinen zwei Beinchen kämpft und wie es schließlich, hochkonzentriert und am Ende, vor Stolz und Glück und Lebenslust fast platzend, seine ersten Schritte schafft, wer das miterlebt, der kann eine Ahnung bekommen vom nachhaltigen Einfluss des Gleichgewichts, der (Körper-) Mathematik auf die menschliche Evolution.

Die Beherrschung der uns umgebenden physikalischen Bedingungen wie Gravitation und Fliehkräfte durch das mühsame, von vielen Rückschlägen und Schmerzen begleitete, durch das bewusste, durch den intrinsischen Willen zum Lernen geleitete Herstellen des Gleichgewichts ist eine der Sternstunden (stammesgeschichtlich: der Beginn) des menschlichen Lebens. Herstellen des Gleichgewichts – nichts Anderes ist Mathematik. Der Gang auf zwei Beinen, diese mühsame, gegen die Gravitation einer ganzen Welt errungene Herstellung des Gleichgewichts, die uns als Lohn eine neue Welt des Denkens und der Abstraktion eröffnet,  kann deshalb auch als Anfang und gleichzeitig als Triumph der Mathematik interpretiert werden.

Den Schatz der Stammesgeschichte heben

Die mühsam im Laufe der Stammesgeschichte erworbenen (mathematischen) Fähigkeiten stehen uns nur begrenzt automatisch zur Verfügung. Wir müssen sie uns quasi im Zeitraffer ontogenetisch, als individuelle Entwicklung aneignen, je nach individuellem Vermögen. Wir müssen sie von der bloßen Möglichkeit in konkrete Fähigkeit umwandeln, wenn wir nicht Ausnahmen wie z.B. Stephen Hawkings sind. Um das stammesgeschichtlich akkumulierte Wissen je nach Individualität optimal auszuschöpfen und es maximal in intuitives Wissen, in am z.B. im Matheunterricht anknüpfbares Wissen zu verwandeln, muss sich das Kind viel und regelmässig bewegen. Es muss Gleichgewichtserfahrungen machen.

Siehe auch Sibley und Etnier, 2003. ‘The Relationship between Physical Activity and Cognition in Children: A Meta-Analysis

The purpose of this study was to quantitatively combine and examine the results of studies pertaining to physical activity and cognition in children….As a result of this statistical review of the literature, it is concluded that there is a significant positive relationship between physical activity and cognitive functioning in children.

Eine Sportstunde mehr wird’s nicht bringen. Kinder brauchen zugängliche und alltägliche Mobilitätsräume und Mobilitätsgelegenheiten, um ihr Entwicklungspotential mobilisieren und ausschöpfen zu können. Eine geeignete und logische Möglichkeit ist die Erschließung der Wegebeziehungen zwischen Wohn- Spiel- und Sportstätten und den Schulen mittels Schulradwegen. Dies würde allerdings ein Umdenken in der bisherigen Hamburger Radverkehrspolitik erfordern, die den bisher in Ansätzen noch vorhandenen kindlichen Mobilitätsraum in Form von vom Kfz-Verkehr abgetrennten Radwegen schließt bzw ihn, nun für Kinder unerreichbar, auf die Fahrbahn verlegt. Die Anlage bzw der Ausbau Kinder inkludierender Infrastruktur ist auch die materielle Voraussetzung für eine erfolgreiche Kampagne gegen den für die kognitive Entwicklung der Schüler so schädlichen Elternbringeverkehr.

Posted in Hamburg und die Welt, Inklusive Radverkehrspolitik, Radverkehrspolitik Hamburg, Uncategorized | Tagged , , , , | Leave a comment

Die gute Nachricht im Radverkehr: Noch nie war Radfahren so sicher wie heute. Lerne den kleinen Trick kennen, wie Radfahren sogar noch sicherer wird.

Dies ist eine sehr erfreuliche Nachricht in diesen Zeiten der Unsicherheit: Radfahren wird immer sicherer.

Zur Entwicklung der Radverkehrssicherheit in Deutschland

Radunfälle modal split

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Zwischen 2000 und 2014 ist die Zahl der tödlich verunglückten Radfahrer um 263 gesunken, das entspricht einem unglaublichen Rückgang von 40%. Einen auch nur annähernden  Erfolg in Sachen Verkehrssicherheit konnte für keine andere Gruppe von Verkehrsteilnehmern  verbucht werden.

Aufgrund des Anstiegs des Radverkehrsanteils um ca 30% bis 2015 hätte die Zahl der tödlich verunglückten Radler, vom Jahr 2000 hochgerechnet, für 2015 bei 870 liegen müssen. Der gewichtete Rückgang in Anbetracht des gestiegenen Radverkehrsanteils beträgt also gut 55%.

Wie funktioniert das?

Das Institut of Transport Economics des Norwegian Centre for Transport Research hat im Mai 2016 eine Studie (Fyhri et al, 2016) veröffentlicht (englisch und norwegisch):

Darin heißt es:
Summary:
When more cyclists turn to the roads in Oslo each spring, the risk for each cyclist of being involved in a conflict or near miss is reduced. In other words, there is proof of a Safety in Numbers effect. Comparing Norwegian road users with their Danish and Swedish counterparts shows that this effect can either be accentuated or reduced by differences in infrastructure quality and traffic culture (norms about how to behave to each other).

 

Auf  nationaler Radverkehrsplan de wird die Studie wie folgt vorgestellt:

 

Safety in Numbers – eine Studie über die Mechanismen der Interaktion zwischen Verkehrsteilnehmern

Die Gefahr, dass ein Radfahrer mit einem Auto kollidiert, ist in den Jahreszeiten am höchsten, in denen nur wenige Radfahrer auf den Straßen unterwegs sind.

Wenn im Frühjahr auf Oslos Straßen die Zahl der Radfahrenden ansteigt, sinkt das Risiko für jeden einzelnen Radfahrer in einen Konflikt oder einen Unfall verwickelt zu werden. Das zeigt eine im Mai 2016 veröffentlichte Studie des Norwegischen Instituts für Verkehrswirtschaft zum sogenannten Safety-in-Numbers-Effekt.

Die Forscher gehen davon aus, dass mit einer Erhöhung der Zahl der Radfahrer nicht automatisch eine entsprechende Erhöhung der Zahl der Unfälle und Verletzungen einhergeht. Eine wichtige Erklärungsansatz ist es, dass sich andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere Autofahrer, schnell an das vermehrte Radfahreraufkommen einstellen.

Die Forscher untersuchten in Skandinavien die Interaktion zwischen Radfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern jeweils im April, im Juni und im September. Dabei konnte festgestellt werden, dass es weniger Unfälle und Beinahe-Unfälle pro Radfahrer gab, je zahlreicher diese auftraten, also vor allem im Juni und September, weil sich die Verkehrsteilnehmer einander gewöhnt hatten.

Die Forscher verglichen für ihre Studie norwegische Straßen mit dänischen und schwedischen Straßen und fanden außerdem heraus, dass sich dieser Effekt durch Unterschiede in der Qualität der Infrastruktur und Verkehrskultur verstärkt bzw. reduziert.

Die öffentliche Kommunikation der Radverkehrssicherheit

Zwischen der realen Entwicklung der Radverkehrssicherheit und ihrer öffentlichen Kommunikation ergibt sich ein auf Anhieb unerklärlicher Widerspruch.

Nachfolgend habe ich zwei jüngst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendeten Formate verlinkt, die schon im schreierischen Titel auf die  Gefährlichkeit des Radfahrens abheben. Im swr-Beitrag entblödet man sich nicht, ausgerechnet UDV-Mann Brockmann, den bekanntesten Vertreter einer Kfz-zentrierten “Sicherheits”philosophie viel Sendezeit einzuräumen.

Ab 9:15 min O-Ton Brockmann, zu 100% von den Kfz-Versicheren finanziert. Geschäftsmodell: Mehr Kfz – mehr Umsatz (Safety in Numbers ist  Gift für dies Geschäft). :

Mich interessiert das nicht, ob wir mehr Radverkehr haben. Ich interessier mich nur für die Sicherheit. Und ich muss leider sagen: Radverkehr ist gefährlich.

“Höhepunkte” der sattsam bekannten brockmannschen Radunfall-Pornos: Brutale russische Kfz-Dashcam-Videos, in denen nicht nur, wie bei Brockmann üblich, Dummies, sondern lebende Radfahrer nur so durch die Luft fliegen. Getreu seinem PR-Prinzip: Vom Radfahren abschrecken. Gewaltbilder in die Köpfe – das Grinsen bei der Vorstellung dieser Videos kann er sich nur schwer verkneifen.

Kamikaze auf zwei Rädern (ZDF) oder Der Fahrradkrieg – Wem gehört die Stadt? (swr)

So weit – so normal die Anti-Rad-Agitation. Business as usual. Zu diesem Post bewogen hat mich erst der Artikel auf aktiv Radfahren de, der in der Radcommunity mehrfach verlinkt wurde, z.B. vom ADFC-Essen.

2015 gab es weniger im Straßenverkehr getötete Radfahrer als im Vorjahr, die Zahl sank leicht von 396 auf 383. Doch kann dies eine gute Nachricht sein? Denn im Mehrjahrestrend gehen die Unfall- und Verletztenzahlen der Radfahrenden nicht zurück. Der Radfahrer-Anteil an den Verkehrstoten ist seit 1991 von 8 auf 11 Prozent gestiegen. Darauf weist jetzt der ADFC hin. Der Bundesvorsitzende Ulrich Syberg erklärt: „Ein getöteter Radfahrer pro Tag …”

Fakt ist: Im Mehrjahrestrend geht die Zahl der Getöteten im Radverkehr massiv zurück. Die Unfall- und Verletztenzahlen erhöhen sich leicht. Sie erhöhen sich aber nicht parallel zum Anstieg des Radverkehrsanteils, sondern bleiben weit hinter ihm zurück. Und darauf kommt es bei der Bewertung an. Zwischen 2000 und 2014 stieg die Zahl der Verunglückten im Radverkehr zwar um 6,67 % (destatis, s. Link). Der Radverkehr nahm aber gleichzeitig um 35,8% zu (Mobilitätspanel Deutschland, s. Link).

Das ergibt eine Verbesserung der Radverkehrssicherheit bezogen auf die Zahl der Verunglückten von ca 30%. Von einer Verschlechterung der Radverkehrssicherheit kann man vernünftigerweise erst dann sprechen, wenn der Anstieg der Verunglückten über dem Anstieg der Radnutzung liegt.

Ein Beispiel:

Der Radverkehrsanteil steigt von 15% auf 40%. Die jährliche Zahl der Verkehrstoten sinkt um 50% von 3000 auf 1500. Die Zahl der Radverkehrstoten sinkt trotz mehr als verdoppeltem Radverkehrsanteil von 400 auf 250: Der Radfahreranteil an den Verkehrstoten wäre gestiegen, von 13% auf 16%.

Bezugsgröße “Anteil an allen Verkehrstoten”

Benutze ich, aus welchen Gründen auch immer, die  Größe “Anteil an allen Verkehrstoten”, dann muss ich sie zwingend in eine Relation setzen. Wie hat sich  die Zahl aller Verkehrstoten verändert? Wie haben sich die Verkehrsanteile verschoben? Ohne diesen Zusammenhang ist “Anteil an allen Verkehrstoten” eine reine Rechengröße, ohne jede statistische oder tatsächliche Aussagekraft.

Erstmals auf diese Größe bin ich bei der UDV gestoßen, im Machwerk “Kann Radverkehr sicher sein?” von 2012 (Ansteigender bzw hoher Radverkehrsanteil wird anhand dieser Größe immer “unsicher” sein, das ist der “Witz” und der Einsatzzweck). Ich fand diese Größe mehrfach in anderen UDV “Forschungen”, zwischendurch bei einem Anti-Münster Pamphlet, dann 2015 bei “Radfahrer/Pkw-Unfälle Getötete im Straßenverkehr nach Art der Verkehrsteilnahme ” (UDV).

In Neues von der Unfallforschung schrieb ich im Oktober 2015:

Die seit längerem bevorzugte Maßeinheit der UDV/GDV zur Beschreibung der Radverkehrssicherheit ist der Anteil der verunglückten bzw getöteten Radfahrer an allen Verunglückten bzw Getöteten im Verkehr.

Der unschlagbare Vorteil dieser Maßeinheit für die UDV: Die Werte steigen  zwangsläufig bei zunehmenden Radverkehrsanteil, auch wenn die Zahl der Getöteten zurückgeht und sich die Radverkehrssicherheit, gemessen in Getötete/ Verunfallte pro Fahrleistung/Verkehrsanteil,  über dem Durchschnitt der anderen Verkehrsarten verbessert.

Von der UDV zum ADFC

Das diese Größe jetzt ihren Weg von der UDV  über die Vehicular Cyclist (VC)-Fraktion via Syberg in die offizielle ADFC-Diktion gefunden hat, das verwundert mich nicht. Der Bundesvorsitzende Ulrich Syberg ist, soweit mir aus seinem öffentlichen Auftritten bekannt,  einer der härtesten VC-Vertreter im Bundes-ADFC. Siehe z.B. sein Interview vom November 2015 in der WAZ, in dem er den Rückgang der Radnutzung bei Kindern zwar wortreich beklagt, jedoch keinen Zusammenhang mit der von ihm vertretenen Fahrbahndoktrin herstellen mag.

Die Zahl der kritiklosen Übernahmen der “Forschungs”ergebnisse der UDV in ADFC-Veröffentlichungen ist Legion. Man schätzt sich offenbar. Das Ziel, der gemeinsame verbissene Kampf gegen jede Art geschützter Radinfrastruktur, führt VCs und Kfz-Industrie zusammen. Die UDV liefert die “wissenschaftliche” Grundlage und Argumentation, der VC-Flügel des ADFC übernimmt sie 1:1 und transportiert sie in die Radcommuntiy.

Die Größe “Radfahreranteil an allen Verkehrstoten” wird in betrügerischer Absicht eingesetzt. Auch wenn Syberg diesem UDV-Betrug die ADFC-Weihen verleiht und damit viele Radfahrer täuschen kann, die dem ADFC ihr Vertrauen schenken. Es bleibt Betrug.

Disclaimer:

Ich werfe nicht allen Betrug vor, die kommentarlos einen Beitrag von oder mit Ulrich Syberg zitieren. Auch nicht dem ADFC-Essen. Immerhin ist Syberg als Bundesvorsitzender des ADFC vielen eine vertrauenswürdige Quelle. Statistik ist ein schwieriges und auch trickreiches Fach, in dem sich bei weitem nicht jeder auskennen kann.

Allerdings: Bei Fachjournalisten für Verkehr und bei höheren Funktionären der Verkehrsverbände muss man einschlägige Statistikkenntnisse – und ihren wohlbedachten Einsatz  – voraussetzen.

Wozu dieser Betrug?

Der Zweck ist: Radverkehr muss unter allen Umständen, von allen Medien und allen “Experten” als “gefährlich” kommuniziert werden. Vonseiten der Kfz-Industrie-Lobby (UDV u.v.a.m.), um die Kfz-Marktanteile hochzuhalten, vonseiten der VCs, um den bei Radfahrern weithin unbeliebten Fahrbahnverkehr mit der sonst angeblich fehlenden “Sicherheit” zu begründen.

Dieses Sicherheitsdogma, nach dem Radverkehr unter allen Umständen “unsicher” und “gefährlich” zu sein hat, ist der Grundstein dafür, den Radverkehr zu marginalisieren. Das tägliche Erleben dieser Unsicherheit auf der für Radfahrer unsicheren Fahrbahn und den ebenso unsicheren Streifen (auf denen man aus “Sicherheitsgründen” zu radeln hat) perpetuiert das Dogma der unausweichlichen “Gefährlichkeit” des Radfahrens.

Die Lösung ist einfach. Nicht die “Sicherheit” muss im Vordergrund stehen. Sondern die Attraktivität des Radfahrens für möglichst viele Bevölkerungsgruppen. Erst eine attraktive, und das heißt zuallererst: wo immer nötig, vom Kfz-Verkehr getrennte, Radinfrastruktur schafft Sicherheit.

Den Radverkehrsanteil erhöhen. Viele Radfahrer auf für sie attraktiven, gut vernetzten und sicheren Wegen, das schafft Radverkehrssicherheit.

Der kleine Trick: Sehen verstehen! Den Fokus auf die Verbesserung der Seherwartung legen, denn sie ist die Voraussetzung für die Sichtbarkeit.

Posted in Allgemeine Radverkehrspolitik, Campaigning, Radverkehrssicherheit, Uncategorized | Tagged , , , | 2 Comments

Bündnis für (Verlagerung des) Radverkehr(s auf die Fahrbahn) II

 

Die Grünen/Bündnis 90 und die Verkehrswende

 

Ban Ki Moon

Ich hatte mich schon einmal vor einem halben Jahr in Warum können die Grünen keinen (Rad-) Verkehr? Spurensuche. hier im Blog mit grüner Radverkehrspolitik auseinandergesetzt.

Ich schrieb damals, im Dezember 2015:

Die radikale Abkehr und der nahezu vollständige Rückzug der Grünen aus einer integralen, nicht einzig auf das Kfz als Individualverkehr setzenden urbanen  Verkehrspolitik war ein Reflex auf Magdeburg 1998.

 

Diese Einschätzung von mir greift, aus meiner heutigen Sicht, viel zu kurz, denn die Zeiten haben sich seit 1998 längst entscheidend geändert. Die urbanen Verkehrsverhältnisse werden inzwischen von einem großen Bevölkerungsanteil als  Zumutung empfunden. Es herrscht Unverständnis darüber, dass nichts geschieht. Der Berliner Radentscheid sammelte, statt der vorgeschriebenen Mindestmenge von  20.000 Unterschriften in einem halben Jahr, in nur dreieinhalb Wochen über 100.000 Unterschriften. Ein politischer Tsunami.

Die Berliner Morgenpost berichtete am 17.06.2016 über eine Umfrage des Instituts Infratest-Dimap, nach der zwei Drittel aller Berliner den Radentscheid unterstützen und selbst ein großer Teil der  Autofahrer sich nicht mehr gegen den Radverkehr in Stellung bringen lässt.

Auch jeder zweite Autofahrer findet, dass der Senat zu wenig für die Radfahrer in Berlin tut. Fast zwei Drittel der Berliner sind der Ansicht, der Berliner Senat unternimmt zu wenig für die Verbesserung des Radverkehrs in der Stadt. Bei den unter 50-Jährigen sind es sogar fast 70 Prozent. … Auch die Anhänger der beiden regierenden Parteien SPD und CDU halten die Forderungen der Initiatoren richtig.

Diese Umfrageergebnisse bilden keineswegs nur einen durch den Radentscheid verursachten plötzlichen Stimmungsumschwung ab. Sie sind auch nicht auf Berlin beschränkt. In dem Bericht des Umweltbundesamtes Umweltbewusstsein in Deutschland 2014. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage heißt es:

82 Prozent der Befragten sind dafür, Städte und Gemeinden gezielt so umzugestalten, dass man kaum noch auf ein Auto angewiesen ist. Bei jungen Menschen (14- bis 17-Jährige) sind sogar 92 Prozent für diese Umgestaltung. Eine hohe Zustimmung gibt es für neue Mobilitätskonzepte in den Städten.

Und auch diese Zahlen sind nicht vom Himmel gefallen. Es gärt schon lange. Umso erstaunlicher ist es, dass die Grünen sich hier so lange taub stellen.Schließlich gehört es zu ihrem politischen Kerngeschäft, diese umweltrelevanten Stimmungen und Forderungen aufzunehmen und sie in die eigene Programmatik wie in  konkrete Politik zu überführen. In Berlin jedoch sind die Grünen von der Wucht des Radentscheids regelrecht überfahren worden und müssen jetzt gemeinsam mit der CDU  den Forderungen hinterher laufen.
Und das obwohl, das sei hier noch einmal betont, der Radentscheid, bedingt durch den restriktiven Rahmen, den die StVO einem mit ihr konform gehenden inklusiven Radverkehr setzt, in seinen Forderungen sehr bescheiden daherkommt.

Von einer bundesweiten oder auch nur Berliner innerparteilichen grünen Programmdebatte und der  dringend nötigen Korrektur der grünen urbanen Verkehrspolitik,  mit klarer Priorisierung eines inklusiven Radverkehrs  als Reaktion auf die harte politische (Wähler-) Münze gewordenen Ergebnisse des Radentscheids, davon ist bislang nichts zu hören.

Stattdessen, so macht ein TAZ-Artikel vom 28.06.2016 deutlich, rücken die Berliner Grünen peu a peu an die Seite des Senats, indem sie gemeinsam mit dem Senat den “Kompromissvorschlag”  von Tilman Heusler, BUND, unterstützen.

Denn die Radverkehrsstrategie des Senats, so Heuser, sei konzeptionell besser [Hervorhebung von mir], aber zu unverbindlich.Laut Verkehrsverwaltung gehe der Vorschlag [des BUND] „in die richtige Richtung“, so Martin Pallgen, Sprecher von Senator Geisel.…. Auch die Grünen begrüßten den Vorstoß des BUND …

Der “konzeptionelle” Unterschied ist schnell benannt:

Grüne, BUND und Senat plädieren vereint für eine Mischverkehr- Streifenpolitik, die vonseiten BUND/Grüne den Kfz-Verkehr behindern und vonseiten des SPD-Senat (“#Autosozen”)  Radverkehr unattraktiv machen soll.

Auf der Seite des Radentscheids eine Radinfrastruktur, die, soweit bzw. wo innerhalb der engen legalen Grenzen noch möglich,  auch baulich geschützt sein soll und damit eine Tür für einen mehr inklusiven Radverkehr aufstoßen soll.

Noch einmal: Es geht beim Radentscheid um urgrüne Forderungen aus den Hochburgen der grünen Wählerschaft in den großstädtischen Milieus für einen inklusiven Radverkehr, um Forderungen, die in der Bevölkerung längst in einem überwältigenden Ausmaß mehrheitsfähig geworden sind. Viele, sehr viele würden lieber Rad als Auto fahren, wenn denn die Bedingungen besser wären.

Was ist da los? Warum nehmen die Grünen das nicht als Himmelsgeschenk auf, sondern versuchen, den Radentscheid zu hintertreiben? Wie ist dieses eklatante Politikversagen der Grünen zu erklären?

Die Koalitionsfähigkeit der Grünen in Kommunen, Ländern und Bund.

Die Grünen sind heute in unzähligen Kommunen, Stadtbezirken, Städten und Bundesländern an Verwaltungen und Regierungen beteiligt, nicht selten sogar in führender Position. Im Bundesrat läuft zur Zeit nichts gegen sie. Bedingung für die Regierungsfähigkeit ist die Koalitionsfähigkeit der Grünen. Sie ist die Voraussetzung für den Weg in  verantwortungsvolle und entsprechend bezahlte Jobs in Politik und Verwaltung. Ich meine dies nicht im Sinne populistischer Politikerkritik (“Fleischtöpfe”), sondern sehe dies als notwendig  dafür an, gestalten und gute Leute rekrutieren zu können. Denn Politik ist nicht nur Berufung oder Idealismus, man will auch gestalten und  selbstverständlich gehören persönliche Lebens- und Karriereplanung wie überall auch zu Politik dazu. Eine Partei, die Aufstiegs- und Gestaltungschancen bietet, hat es leichter, gegen die Wirtschaft, Wissenschaft und andere Parteien um gute Köpfe zu konkurrieren.

Die Fahrradnovelle von 1997

Mitte der 90er wurden die (ersten) Erfolge unübersehbar, die der Mitte der 70er begonnene Ausbau der Radinfrastruktur in den Niederlanden mit sich gebracht hatte. In Deutschland lag  zu dieser Zeit die Amtszeit des Langzeit-Kanzlers lag deutlich erkennbar in den letzten Zügen – nur die Wiedervereinigung hatte dem Kanzler Kohl eine letzte Ehrenrunde gerettet. Für die Bundestagswahl 1998 wurde endgültig mit der ersten rot-grünen Bundesregierung gerechnet. Die Grünen galten besonders der Kfz-Industrie und ihrer Lobby wenn nicht als Schreckgespenst, so doch als unsichere Kantonisten. Noch auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz (Parteitag) im März 1998 beschlossen die Grünen ein Wahlprogramm für die im Herbst bevorstehende Bundestagswahl, das  die schrittweise Erhöhung des Benzinpreises auf 5 DM (kaufkraftbereinigt ca 5 €) beinhaltete (“Magdeburg”).

1997, in Erwartung bzw. Vorbereitung des Regierungswechsels zu Rot-Grün, erließ der damalige CDU-Bundesverkehrsminister der letzten Regierung Kohl, der heutige Präsident des Verbandes der Automobilindustrie  Wissmann, die  “Fahrradnovelle” genannte berühmt-berüchtigte StVO-Änderung. Der Bau und auch der Unterhalt geschützter Radinfrastruktur in Städten und Kommunen, das Herzstück der so eminent erfolgreichen niederländischen Radverkehrspolitik, wurde mit dieser Fahrradnovelle wenn nicht praktisch unmöglich gemacht, so doch beträchtlich erschwert.

Das Vorstandsmitglied des Berliner ADFC Evan Vosberg auf seinem Blog urban.to, Kampf der Benutzungspflicht und die Folgen,  Kommemtar von May, 6 2016, dazu:

Nehmen wir mal die billige Lösung den Radfahrstreifen, dafür ist eine Überprüfung nach StVO §45 Abs. 9 Satz 1 und 2 notwendig. Fällt diese Überprüfungen negativ aus, sprich keine besondere Gefährdung bei Benutzung der Fahrbahn und damit keine Notwendigkeit der Einrichtung von Radfahrstreifen bleiben der Kommune kaum Argumente, einen viel teureren baulichen Radweg instand zu halten oder gar zu schaffen. Die theoretische Möglichkeit ist zumeist also praktisch ausgeschlossen.

§ 2 StVO
Straßenbenutzung durch Fahrzeuge
(1) Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte. Seitenstreifen sind nicht Bestandteil der Fahrbahn.
§ 45StVO
Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen

(9) Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Abgesehen von der Anordnung von Schutzstreifen für den Radverkehr (Zeichen 340) oder von Fahrradstraßen (Zeichen 244.1) oder von Tempo 30-Zonen nach Absatz 1c oder Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Absatz 1d dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Der Mischverkehr wurde obligatorisch und der Einsatz von Schutzstreifen eingeführt. 2009 wurden die bis dahin von Kfz- und Schwerlastverkehrsstärken abhängigen Obergrenzen für den Einsatz der Schutzstreifen aufgrund von “Studien” der BASt (Bundesanstalt für Straßenwesen, Bundesministerium Verkehr) aufgehoben.

Die Domestizierung der Grünen Verkehrspolitik

Im September 1998 kam es dann zum, aus grüner Sicht,  langersehnten Rot-Grünen Projekt, der ersten rot-grünen Koaltion auf Bundesebene in Gestalt des ersten Kabinett Schröder/Fischer.

Der Autokanzler Schröder hatte schon als niedersächsischer Ministerpräsident eine rot-grüne Koalition (Schröder/Trittin) angeführt.

Vom grünen Projekt der Verkehrswende blieb so gut wie nichts übrig. Die Verkehrswende wurde fast vollständig eingetauscht gegen die Energiewende. Der Autoverkehr und natürlich auch die “Fahrradnovelle” blieben unangetastet. Siehe dazu (schon die Leseprobe lohnt sich!):

Bundeskanzler Schröder und seine Führungsrolle beim Atomausstieg und der „Nicht – Verkehrswende“ – ein Politikstil mit Zukunft? (2005, Robert Rädel , Manuel Reiß)

Während die Verkehrswende von den Grünen als entscheidend für eine erfolgreiche Umweltpolitik angesehen wurde und traditionell im Zentrum ihres Programms stand, genoss sie weder in Gesellschaft noch in der SPD Rückhalt (ebd. [Raschke], S. 236).

Festzuhalten ist aber auch, dass  Radverkehr als Träger einer urbanen Verkehrswende in der grünen Programmatik zu dieser Zeit noch überhaupt nicht stattfand. Die niederländischen Erfolge wurden bestenfalls als zwar liebenswerte, aber doch zu belächelnde “kulturelle Macke” der Holländer wahrgenommen. Radverkehr in Deutschland war aus grüner Sicht Sache des ADFC, der eine zwar wortradikale “grüne” aber eindeutig nicht massentaugliche VC-Politik betrieb.

Doch der den Grünen von Schröder aufgezwungene Verzicht auf die Verkehrswende, flugs programmatisch abgesichert durch die grüne Ba-Wü Connection Kuhn u.a. im Strategiepapier Von der Verkehrswende zur nachhaltigen Mobilität, hatte für die Grünen viele Vorteile. Plötzlich fielen Koalitionen in Stadt und Land um Vieles leichter – das leidige Thema Verkehr war im Grundsatz ausgeräumt. Natürlich gab es Nachwehen, hier der Streit über eine Brücke über die Mosel, dort der über eine (innerstädtische) Autobahn. Aber der Grundkonsens, kein Angriff auf die Vorherrschaft des Kfz, der war gefunden.

Die “Radverkehrsförderung” wird erst jetzt von den Grünen entdeckt, allerdings streng und dogmatisch nach den Vorgaben der “Fahrradnovelle”. Die “Verkehrswende”-Täume von einst sind nicht nur ausgeträumt – sie stünden heute der Koalitionsfähigkeit der Grünen in Kommunen, Städten, Ländern und Bund im Wege.

Inklusive Radverkehrspolitik heute

Wer deshalb heute in Deutschland für eine Verkehrswende arbeitet, wie sie in vielen Städten in Niederlande und Dänemark Realität ist, der tut dies gegen die Grünen und ihr organisatorisches Umfeld.

Auf der Habenseite allerdings steht die immer noch zunehmende Ungeduld der Stadtbevölkerung sowie der ebenfalls zunehmende Druck durch den Klimawechsel. Das eine Mobilisierung für eine Verkehrswende auch ohne bzw gegen die Grüne Partei gelingen kann, das zeigt der Radentscheid. Heinrich Strößenreuther, der führende Kopf des Radentscheids, hat sein Campaigner-Handwerk bei Greenpeace gelernt.

Greenpeace hat dieser Tage ein lesenswertes Konzept für neue Mobilität in Städten veröffentlicht. Greenpeace, you are welcome!

greenpeace

“Lädt die Fahrradinfrastruktur alle Gruppen zum Radfahren ein – Kinder genauso wie Senioren?” Radentscheid, ick hör dir trapsen.

Aber auch wenn der Apfel überreif am Baum zu hängen scheint, die Verkehrswende ist kein Kinderspiel. Die Kfz-Industrie hat es geschickt verstanden, ihre Belange durch Gesetze (“Fahrradnovelle”) und eine absurde “Sicherheits”debatte abzusichern und entscheidende Akteure wie Grüne/Bündnis 90 sowie ADFC-Verbände (obwohl es dort gewaltig bröckelt) auf ihre Seite zu ziehen.

Doch der Berliner Radentscheid zeigt: Mit Hilfe schon nur weniger kampagnenerfahrener Leute lässt sich die herrschende Verkehrspolitik in unseren Städten zum Tanzen bringen. Ich hoffe sehr, dass die erfahrenen Campaigner von Greenpeace  ihrem Konzept Taten folgen lassen. Denn allzu viele warten schon allzu lange und scharren in ihren Pedalen bzw müssen noch in Autos ausharren.

Posted in Inklusive Radverkehrspolitik, Uncategorized | Tagged , , , , | 3 Comments

Bündnis für (Verlagerung des) Radverkehr(s auf die Fahrbahn) oder Und täglich grüßt das Murmeltier. Teil I

Vor knapp 10 Jahren, im Jahre 2008, als Hamburgs Grüne vor dem jetzigen rotgrünen Senat letztmalig mitregierten, wurde eine große “Fahrrad-Offensive” angekündigt, damals auch “Rad-Revolution” genannt.

Zur Erinnerung: Hamb. Abendblatt vom 18.03.2013 (bei Lesesperre Warten auf die Fahrrad-Schnellstrecken googeln)

Dabei wurde sie schon vor fünf Jahren angekündigt, die große “Fahrrad-Offensive”, auch “Rad-Revolution” genannt. Doch was hat sich in der Stadt seither getan? Viele Radwege sind in einem schlechten Zustand und die Velorouten, die bereits Mitte der 1990er-Jahre geplant wurden, sind immer noch nicht fertiggestellt.

Das Ergebnis dieser “Rad-Revolution” war eine weitere Verschlechterung der Bedingungen für einen inklusiven Radverkehr.


Für Nicht-Hamburger: Die Velorouten, ein in den 90ern geplantes strahlenförmiges Netz von Radverkehrsverbindungen Richtung Hamburger City, sind ein spezielles Hamburger Unikum. Auch wenn es sich anders anhört, sie sind keinesfalls zum Radfahren gedacht. Ihr Daseinszweck ist es, als Untote durch die Hamburger Politik zu geistern. Das Versprechen auf “Fertigstellung der Velorouten” dient seit Mitte der 90er als feststehende Metapher, um die  Fahrradfreundlichkeit  jeder Hamburger Regierung, ganz egal welcher Coleur, unter Beweis zu stellen. Dass sie längst nicht mehr zeit- und bedarfsgemäß sind, dass andere Städte das Prinzip der Velorouten längst zu Radschnellwegen, bzw Fietssnellweg, Cykkelsupersti und Cyclesuperhighways weiterentwickelt haben, das Alles kann bei Untoten naturgemäß keine Rolle spielen.


Ebenfalls aus dem Jahr 2013 stammt der Artikel aus der Hamburger Morgenpost, in dem die wesentlichen Inhalte der neuen rotgrünen Politik der “Fahrradstadt”, nämlich der ersatzlose Rückbau der für einen inklusiven Radverkehr unabdingbaren geschützten Radinfrastruktur, formuliert und vorweggenommen werden, von der damals noch mit absoluter Mehrheit regierenden SPD.

Radwege-Rückbau SPD schickt Hamburgs Radler auf die Straße

Bei den Radlern gehen die Meinungen auseinander, ob es im fließenden Verkehr zwischen den Autos für sie sicherer ist. Aber die SPD ist überzeugt von ihrem Vorstoß. “Am sichersten ist das Radfahren auf der Straße”, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der SPD, Martina Koeppen. “Daher gibt es ja auch für die meisten Radwege gar keine Benutzungspflicht mehr.”… Außerdem wird geprüft, welche Radwege ersatzlos zurückgebaut werden können, um dann mehr Platz für Fußgänger zu schaffen.

Der Beitrag der Hamburger Grünen besteht demnach im Wesentlichen darin, der originär SPD-Radverkehrspolitik das Etikett “Fahrradstadt” verpasst zu haben. Folgerichtig sind sie, entgegen allen politischen Gepflogenheiten, auch nicht im Senat für ihr Hauptwahlkampfprojekt, der “Fahrradstadt”, verantwortlich. Das Verkehrsressort verblieb in SPD-Hand. Dass die Grünen vom SPD-Bürgermeister Scholz von der Umsetzung der “Fahrradstadt” so vollkommen ausgeschlossen wurden, dass sie noch nicht einmal einen der beiden Staatsräte (Staatssekretär auf hamburgisch) in der zuständigen Verkehrsbehörde stellen durften, das war ein nur mühsam zu kaschierender Affront.

Dieser Streit, wer sich denn nun den Erfolg an das Revers heften darf, die Hamburger Radler als “Spaßbremse” entweder auf die Fahrbahn zu zwingen oder sie, als Alternative, dazu zu bringen, das Rad stehen zu lassen, dieser Streit führte zu den Auseinandersetzungen um das “Bündnis für Radverkehr”, in dem die Grünen für eine stärkere Beteiligung der Bezirke stritten. Denn in den nachgeordneten Bezirken mit nur marginaler Haushaltskraft sind die Grünen stärker vertreten als in der Bürgerschaft.

Hamb. Abendblatt vom 12.05.16 (“Bezirke bremsen Hamburgs Fahrradfahrer aus” googeln wg Lesesperre)

Aber natürlich wurde sich geeinigt, schließlich sind die Unterschiede zwischen SPD und Grünen in der Radverkehrspolitik wirklich nur für Experten wahrnehmbar.

Hamb. Abendblatt vom 19.03.2016 (Hamburg schließt “Bündnis für den Radverkehr”)

Ausbau der Velorouten und Bezirksradwege, Verlagerung des Radverkehrs mit Extraspuren auf die Straßen, bessere Parkmöglichkeiten für Fahrräder, Winterdienst für Radwege und Ausbau des StadtRad-Leihsystems – das sind die zentralen Vorhaben, mit denen Rot-Grün Hamburg zu einer echten “Fahrradstadt” umbauen will.

Taz vom 23.06.2016 (Hamburger sollen Radfahren)

Hauptgegenstand des Bündnisses sind die bereits ausgewiesenen sogenannten Velo-Routen, die den Alltagsverkehr bündeln und „ganzjährig und ganztägig sicher, zügig und komfortabel befahrbar sein“ sollen, … [“komfortabel” an letzter Stelle]*

Dabei sollen, „wo immer es sinnvoll und möglich ist“, Radfahr- und Schutzstreifen auf die Fahrbahn gemalt werden. Nicht mehr benötigte Radwege sollen abgebaut werden – etwa in Tempo-30-Zonen, wo grundsätzlich auf der Fahrbahn gefahren werden soll.

*Einschub von mir.

Die Verlagerung des Radverkehrs auf die Fahrbahn hat bisher in keiner einzigen Stadt auf der Welt zu einer Erhöhung des Radverkehrsanteils beigetragen. Im Gegenteil, alle, ausnahmslos alle verfügbaren Studien und Vorher-Nachher Vergleiche zeigen, dass vor dem motorisierten Verkehr baulich geschützte Radinfrastruktur die Anzahl der Radfahrer rapide erhöht, ihr Altersspektrum beträchtlich ausweitet und ihre Sicherheit wesentlich besser gewährleistet.
Aus diesen Gründen wird überall in der Welt, wo sich Bevölkerung und Politik für eine nachhaltige urbane Verkehrspolitik entscheiden und den Radverkehr zur ersten Säule des Individualverkehrs machen wollen (“Fahrradstadt”),  vornehmlich auf baulich geschützte Radinfrastruktur gesetzt.

Hamburg geht den umgekehrten Weg.  Warum? Dazu mehr im nächsten Beitrag.

 

 

 

 

Posted in Allgemeine Radverkehrspolitik, Radverkehrspolitik Hamburg | Tagged , , , | 1 Comment

WDR beteiligt sich an Pro-Rad Kampagne

Warum es mit dem Radverkehr nicht voran geht. Die herkömmliche Verbandspolitik, wie sie besonders in Hamburg trotz gegenläufiger weltweiter und inzwischen auch innerdeutscher Entwicklung immer noch betrieben wird,  verkommt immer mehr zum Hindernis für eine moderne Stadtverkehrspolitik und bremst insbesondere den Radverkehr aus.
Zu schmale Radwege, zu schnelle Autos oder unübersichtliche Kreuzungen – Radfahren in der Stadt ist oft ein riskantes Hindernisrennen. Warum das so ist und wie es auch anders gehen kann, zeigt das WDR in einem Comic-Clip.
Posted in Allgemeine Radverkehrspolitik, Hamburg und die Welt, Uncategorized | Tagged , | Leave a comment

Sind wir Zeuge vom Ende der Fossile Brennstoff-Industrie – und wird es die übrige Wirtschaft mit in den Abgrund reißen?

Death of oil

Foto: Herkunft leider unbekannt, falls jemand die Herkunft kennt: Bitte melden.

Ich bin über Twitter auf diesen Artikel von Nafeez Ahmed gestoßen und habe ihn, mit Erlaubnis natürlich,  übersetzt. Er handelt von der Öl- und Gasindustrie und von ihrer Zukunft bzw. ihrem  Niedergang und ist, wie ich finde,  sehr aufschlussreich und aus sehr amerikanischer Sicht geschrieben. Wenn ich mir Dieselgate, E-Auto-Prämie und den Radentscheid Berlin ansehe, dann werde ich das Gefühl nicht los, dass  unsere Kfz-Industrie  ihre besten Zeiten ähnlich wie die Fossile- Brennstoff-Industrie hinter sich hat. Das wäre nicht verwunderlich: Öl- unf Gas einerseits und Kfz andererseits sind siamesische Zwillinge.

Die Firma Deloitte übrigens, die im Artikel mehr als einmal zitiert wird, ist auch in Deutschland aktiv. Im Auftrag des US-Justizministeriums haben Ermittler von Deloitte in der letzten Aprilwoche die Daimler Standorte in Deutschland durchsucht, wegen Betrugs- bzw Manipulationverdacht. Warum die deutsche Staatsanwaltschaft diesen – ihren – Job nicht gemacht hat? Meine Erklärung: Hätten die etwas gefunden, dann hätten sie sozusagen gegen ihren Dienstherrn (Daimler) vorgehen müssen, denn nicht die deutschen, sondern die US-amerikanischen Behörden hätten wegen Amtshilfe quasi die Dienstaufsicht gehabt. Da spielt man lieber das Drei-Affen-Spiel.

Der Artikel hat auch, das gebe ich gern zu, meine romantische Ader angesprochen: Ich glaube an die Fähigkeit des Menschen zur Vernunft.

 

Von Nafeez Ahmed [1], veröffentlicht in Englisch auf Alternet [2] April 22, 2016.

Continue reading

Posted in Uncategorized | 1 Comment

Zeitenwende – Der urbane Radfrühling

Möönsch, macht das Radfahren wieder Spaß.

Er ist’s

Bike vs Cars.jpg large

Foto:  twitter: @bikes_vs_cars

 

 Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte …

Horch, aus Berlin ein feiner Klingelton!

Frühling, ja du bist’s .

Dich hab ich vernommen.

(nach E. Mörike)

Zur schönsten Jahreszeit gesellt sich ein radpolitischer Frühling. Der Radentscheid tritt mit in die Pedale. Nach diesem jahrzehntelangen eisigen Winter in der deutschen Radverkehrspolitik, der Einiges an – noch nicht ausgestandenen – Grausamkeiten (Väterchen Frost: “Ab auf die Fahrbahn, Kinder!”) zu bieten hatte, liegt ein Wetterumschwung in der Luft.  Radentscheid. So stelle ich mir E-Bikeradeln mit Rückenwind vor.

Mit dem Radentscheid wird die urbane Verkehrswende endlich auch in  der weltweit wohl am besten  gesicherten Festung der lebensfeindlichen automobilen Kultur greifbar, in  Deutschland und zwar in der Hauptstadt.

Das Timing konnte nicht besser sein.

prognos.jpg large

Die härteste Währung in der Stadt ist der öffentliche Raum. (Ein BMW-Vertreter während einer PROGNOS-Veranstaltung in Berlin) Foto: https://twitter.com/wegeheld

 

The-arrogance-of-space-Neumarkt

The Arrogance of Space: Neuer Graben, Osnabrück. 
Rot: Kfz; Blau: Bus; Grün: Rad- und Fußverkehr; Gelb: Fußverkehr. Bild: It started with a fight

 

Kaum hat die Krise der deutschen Automobilindustrie begonnen, schon wird in Berlin die Aufteilung des öffentlichen Raums neu verhandelt.

 

Zwei Fragen will ich hier behandeln: 1. Warum gerade jetzt? 2. Warum gerade Berlin?

Warum gerade jetzt?

Eine ernst zunehmende Kampagne für etwas setzt zwei Dinge voraus. Erstens, dass genügend Menschen sich in dem Ziel wiederfinden und zweitens, dass das  Ziel dieser Kampagne erreichbar erscheint.

Für die Umwandlung des urbanen Verkehr weg von der Kfz-Zentriertheit und hin zu einer nachhaltigeren Umweltverbund-Lösung mit dem Schwerpunkt des Individualverkehrs auf dem Radverkehr bedeutet das:

Erstens, es müssen genügend Menschen unzufrieden mit dem Stadtverkehr sein und mehr unter ihm leiden als von ihm profitieren. Diesen Punkt kann man in allen Großstädten als gegeben voraussetzen. Es gibt bekanntlich nichts,  was die Stadtluft mehr vergiftet, was mehr öffentlichen Raum frisst,  was mehr Menschen tötet, verletzt und aus der Stadt treibt, was 24/7 mit Lärm stresst, was die städtische  zwischenmenschliche Kommunikation mit mehr Wut, Angst und Hass auflädt und dadurch unproduktiv macht, was innerstädtische Mobilität durch endlose Staus mehr einschränkt, kurz,  es gibt bekanntlich nichts, was das Stadtleben mehr negativ beeinflusst (und die Stadt dadurch zu einem Moloch macht) als der motorisierte Individualverkehr.

Also zu zweitens, zur Möglichkeit, oder, besser, zur Machbarkeit, die Verhältnisse zu ändern. Die Machbarkeit muss man wiederum zweiteilen. In erstens, die technische Machbarkeit. Kann ein anderer Verkehr überhaupt funktionieren? Hier zeigen die “Fahrradstädte” seit nunmehr Jahrzehnten sehr deutlich: Das geht. Besser noch: Stadt, Menschen und Wirtschaft gewinnen dabei. Weder in Kopenhagen noch in Amsterdam wurde ein Rückfall in die Steinzeit verzeichnet. Menschen im Bärenfell begegnet man so gut wie nie, im Gegenteil, das Stadtleben dort wird regelmässig in die Spitze der urbanen Zivilisation gewählt.

cycle Chic

Trotz Winter und viel Radverkehr: Ohne Bärenfell in Kopenhagen. Foto: Cycle Chic

 

Zweitens, die politische Machbarkeit. Kann man auch in Deutschland einen besseren Stadtverkehr durchsetzen? Gegen die alles überwölbenden wirtschaftlichen Einzelinteressen der Kfz-Industrie, gegen ihre politischen Statthalter von Grün bis Schwarz und gegen das bis weit in Radverkehrskreise hinein, heute allerdings nur noch in Deutschland gültige Paradigma  der “Sicherheit” des Misch- bzw Streifenverkehrs (“Vehicular Cycling”)?

Sieht man sich die Entwicklungen in den USA und in GB an, beide mit Blick auf die ehemals dominierende Stellung der Kfz-Industrie mit der Lage in Deutschland zumindest vergleichbar, so fällt Folgendes auf: Das Vehicular Cycling stellt objektiv die vorgeschobenste Verteidigungslinie gegen eine Verkehrswende dar, denn ihre Vertreter halten vielerorts in der Radcommunity selbst  die Fäden der organisierten Radpolitik (noch) in der Hand. Zwar kann eigentlich fast jede(r) radfahren, doch hebelt das Vehicular Cycling  die dem Radfahren innewohnende Inklusivität aus. Diese machobasierte und flugs in die StVO übernommene Ideologie  soll sicherstellen, dass  vom Radverkehr, absurderweise aus Gründen der “Sicherheit”, alle diejenigen ausgeschlossen bleiben, denen der Kfz-Verkehr zu gefährlich ist. Die Eintrittskarte für die individuelle urbane Mobilität – und damit das Recht auf Teilhabe, das Recht auf Stadt – soll  ein besonderer “Mut” sein. Wer diesen “Mut” nicht aufbringt, nämlich sich ungeschützt auf dem Rad in den  zentimeterdicht vorbei fahrenden motorisierten Verkehr zu stürzen,  nun, der kaufe sich bitteschön ein Auto oder bleibe zu Hause.

Kann man also gegen diese Phalanx aus Industrie, Politik, Radfunktionären samt ihrer gemeinsamen, besonders mithilfe der gut organisierten Radsportler tief in die Radcommunity eingesickerten Ideologie etwas ausrichten?

Man kann. Der Leidensdruck der Stadtbevölkerung, Vernunft, Empathie und das Beispiel der cities that rock the urban traffic world können sich gegen  Industrie, Politik und Ideologie durchsetzen, unter einer Voraussetzung: Das Zentrum muss schwächeln. Eine zumindest temporäre, besser noch strategische Schwäche der Kfz-Industrie muss gegeben sein – und man muss bereit sein, die Gelegenheit zu ergreifen.

Schon in den USA und in GB hat die Schwäche und der Ansehensverlust der nationalen Automobilindustrien zum ebenso plötzlichen wie vollständigen Verschwinden des Vehicular Cycling geführt. Die dadurch errungene Möglichkeit des Baus von geschützter Radinfra  hat zu nicht für möglich gehaltenen Erfolgen der (Rad-) Verkehrs- und Stadtplanung geführt.

2009, mitten in der größten Krise der US-Autoindustrie, starteten Radcampaigner aus der NACTO (National Association of City Transportation Officials) das “Cities For Cycling” Projekt. 2012 wurde der NACTO-Urban Streets Design Guide herausgegeben, der erstmals ausdrücklich geschützte Radinfra vorsah. Inzwischen wurde er von der Bundesregierung, von  8 Staaten und von über 40 Städten übernommen.Auch in Kalifornien wurden 2015 die AASHTO Guidelines, die keine geschützte Radinfra vorsahen und die Planer von Radwegen deshalb einem hohen Prozessrisiko aussetzten, durch die NACTO-Guidelines ersetzt. streetsblog dazu:

It wasn’t a total surprise, but exciting nevertheless for bicycle advocates gathered at the NACTO “Cities for Cycling” Road Show in Oakland last night. Caltrans [Californian Transport – Verkehrsministerium] Director Malcolm Dougherty announced that the agency will endorse the use of the National Association of City Transportation Officials Urban Street Design Guide, giving California cities the state DOT’s [DOT – Department of Transport, Verkehrsministerium] blessing to install modern infrastructure like protected bike lanes. [giving the blessing –  den Segen erteilen, hier: Prozessrisiko aufheben]

Received with enthusiastic applause from the crowd of bike advocates, city officials, and planners, Dougherty said:

We’re trying to change the mentality of the department of transportation, of our engineers, and of those that are doing work in and around the state highway system. Many cities around California are trying to be forward thinking in terms of alternative modes, such as bike and pedestrian, as well as the safety of the entire system, and the very least we can do as the department of transportation for the state is to follow that lead, to get out of the way, and to figure out how to carry that into regional travel.

Nun scheint sich auch in Deutschland mit dem gewaltigen Ansehensverlust und der daraus folgenden politischen Schwäche der Automobilindustrie ein Fenster aufzutun. Nur, das bloße Vorhandensein einer Chance reicht nicht. Es muss auch Leute geben, die entschlossen und in der Lage sind, diese Chance zu nutzen. Damit komme ich zu meiner zweiten Frage:

Warum gerade Berlin?

Für mich als Nicht-Berliner stellt sich das folgendermaßen dar:

Berlin hat, wie Hamburg, einen der reaktionärsten ADFC-Landesverbände (Siehe: Return of the Pickelhaube). Es hat einen ähnlich hohen Radverkehrsanteil wie Hamburg. Warum also Berlin und nicht Hamburg? Der in meinen Augen entscheidende Unterschied: Berlin spielt mit seiner wesentlich größeren IT- und Start-Up Szene in einer eigenen Liga. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young hat Berlin  inzwischen London als Start-Up Hauptstadt Europas abgehängt.

Diese aktiven und gutverdienenden Berliner brauchen kein Auto mehr als Statussymbol. Ebensowenig müssen sie als Radfahrer Selbstbewusstsein aus der Konkurrenz mit dem Autoverkehr generieren, denn Radfahren ist für sie Lebensgefühl, nicht Unterlegensein. Was sie nicht wollen: Als Radfahrer schäbig behandelt und gefährdet werden, wie es das Fahrbahn- bzw Streifenradeln  unausweichlich und nur allzu oft mit sich bringt. Diese neuen Lifestyle-Fahrradfahrer sind auch international unterwegs oder zumindest international vernetzt. Das weltweit nur noch in Deutschland anerkannte Dogma von der angeblichen, “wissenschaftlich bewiesenen” Sicherheit des Fahrbahnradelns verliert bei ihnen seine Gültigkeit. Dazu trägt auch bei, dass diese Radfahrer gewohnt sind, überkommenes Denken in Frage zu stellen, denn genau das ist quasi ihr Jobprofil.

Aber vielleicht entscheidend: Es sind Leute, die wissen, dass Sicherheit wichtig und grundlegend ist. Sie wissen aber auch, dass Sicherheit allein nicht reicht. Userfreundliches Design macht den Unterschied im Erfolg. Ein Produkt – hier Radverkehrsinfrastruktur – muss, um erfolgreich zu sein,  so designt sein, dass man sich beim Benutzen wohl fühlt, dass man willkommen geheißen wird. (Autobauer wissen das übrigens auch – nur  einige ADFC-Funktionäre angeblich nicht.)

Es ist deshalb kein Zufall, dass sich  der reaktionäre Berliner ADFC mit dem Radentscheid so überaus schwer tat. Es ist auch kein Zufall, dass das erste Opfer des Radentscheids ausgerechnet ein führender Vertreter der VC-Ideologie ist, nämlich das Vorstandsmitglied des ADFC Berlin, Bernd Zanke. Zanke ist zurückgetreten, denn: Ein Volksentscheid „kann kein erfolgreiches Mittel zur Förderung der Verkehrssicherheit und des Radverkehrs sein“ (Zanke). Damit weist sich Bernd Zanke als ein typischer Vertreter des VC aus. Im Radsport aktiv. Für “Sicherheit” zuständig. “Sicherheit” ist nach  Ansicht dieser Leute das, was sie als selbsternannte Experten dafür erklären. Nicht, dass einer von ihnen Verkehr oder Verkehrssicherheit studiert oder jedenfalls Erfolge auf diesem Gebiet vorzuweisen hätte.  Das die weit überwältigende Zahl von Studien aus der Verkehrswissenschaft, dass die Beispiele und durchweg alle Radverkehrsexperten der erfolgreichsten Radnationen und Fahrradstädte, dass die übergroße Mehrheit der täglich Radfahrenden genau Gegenteiliges sagen, das Alles spielt ihnen keine Rolle. Wozu auch, die mächtige Kfz-Industrie stärkt ihnen den Rücken. Die Einen wollen auf der Fahrbahn radeln, die Anderen wollen ums Verrecken keine Konkurrenzinfra. Auf diesem gemeinsamen Nenner kommt man zusammen.

Es ist weiter kein Zufall, dass das neue Vorstandsmitglied des ADFC Berlin ein Vertreter der neuen Lifestyle- Radfahrer ist, Evan Vosberg, nach eigener Aussage: Designer, Blogger, Cyclist. Aufgabengebiet: Verbindung zum Radentscheid.

Berlin, Berlin, wir radeln nach Berlin!

Spenden für den Radentscheid kann man hier.

 

Posted in Uncategorized | 1 Comment